Das Geschenk des Magiers

Diese Geschichte ereignete sich etwa zur gleichen Zeit, als die Helden von Andor den „Kampf um Cavern“ bestritten. Es sei an dieser Stelle vorweggenommen, dass diese Attacke der Kreaturen auf das Reich der Schildzwerge kein Zufall, sondern der erste Schritt eines großen Plans war…

Spoiler-Warnung für alle, die „Die Reise in den Norden“ noch nicht gespielt haben.

Prinz Undavahr stierte in den Abendhimmel. Wolkenverhangen und trüb lag er wie Blei über Borghorn, der großen Feste der Krahder. Undavahr fühlte die allgegenwärtige Leere. Sein massiger grauer Körper lag auf einem Steinblock in der Mitte seines Turmzimmers. Der Gestank von Unrat und verwesenden Mahlzeiten lag schwer in der Luft.
Plötzlich hörte Undavahr mehrere Stimmen durcheinander rufen. Sein lahmer Verstand brauchte eine Weile, um zu erkennen, dass dort im Hof tatsächlich gerufen, ja sogar geschrien wurde. Jedwede Aufregung war schon so lange her, dass er gar nicht mehr wusste wie sich das anfühlte. Sein Herz begann kräftiger zu pumpen und er erhob sich schwerfällig. Dann kam ihm blitzartig der Gedanke, dass es vielleicht einen Fluchtversuch gegeben hatte. Es war sehr selten aber doch, hin und wieder glaubte einer der Sklaven der Feste entfliehen zu können. Es war natürlich reiner Aberglaube. Nur wenige versuchten es und niemandem gelang es. Nun, fast niemandem. Vor Jahren hatte es eine kleine Schar geschafft. Dieser Stachel saß noch immer tief im Fleisch seines Hauses. Nie wieder würden sie es zulassen, dass ihnen Sklaven entkamen!

Der Prinz trabte nun die gehauenen Steinstufen seines Turms hinunter. Die Stimmen, die nun mehr zu Geschrei wurden, kamen vom Westflügel und er beschleunigte seine Schritte. Auf seinem Weg überholten ihn einige Skelettwächter. „Verdammt“, dachte er nun ganz und gar wach, „ich bin fett und lahm geworden. Die Skelette werden mir noch den ganzen Spaß nehmen!“ Doch kaum hatte er das gedacht und seine Lungen gefüllt um seine Diener zurück zurufen, da brannte ein gleißendes Licht in seinen Augen. Kurz darauf schepperte es und ein Durcheinander an Knochen und Lanzen surrten durch die Luft. Undavahr blieb alarmiert stehen. Was war hier los? Ein Ausbruch? Ein Aufstand? Ihm wurde mit einem Mal bewusst, dass er sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte sein Schwert oder seine Knochenrüstung mitzunehmen. Einen fliehenden Sklaven hätte er mit bloßen Händen erwürgt, aber was war das hier …? Eine Staubwolke lag in der Luft und Undavahr konnte nichts Genaues erkennen.
Ein eiserner Griff packte ihn an der Schulter und er fuhr herum. Es war einer der Krahder-Krieger, die in den Diensten seines Vaters standen. „Ihr solltet in Sicherheit gehen mein Prinz“, rief er ihm zu. Dann setzte dieser seinen Weg fort und verschwand fast gänzlich in der Staubwolke. Undavahr meinte, die Silhouette einer kleinen Gestalt zu erkennen. Er hörte die Stimme des Kriegers, die bald lauter wurde. „Keinen Schritt weiter“, konnte Undavahr vernehmen und dann sah er wie sein Artgenosse mit seinem Schwert ausholte. Erregt sah Undavahr wie die Klinge auf die kleine Gestalt niederging. Im letzten Augenblick riss sie eine Art Stab nach oben und parierte den Hieb. Und jetzt, einen Augenblick später schien es, als ob der Kreiger sein Schwert fallen gelassen hatte, die Arme auf den Rücken verschränkte und sich verbeugte. Konnte das sein? Undavahr konnte es in all dem Staub nicht genau erkennen, nein, es war gar kein Staub mehr. Eine Art dicker schwarzer Nebel hatte sich ausgebreitet und um den Körper des Kriegers geschlängelt. Wie schwarze Taue wand sich der Nebel um den Krahder der nun zu schreien begann. Mit einem trockenen Knacken, wie wenn man einen Ast brach, brach auch der Krieger in sich zusammen. Der Nebel entließ den toten Krahder und umschmiegte die Gestalt, die gewandet in Umhang und Kapuze nun langsam auf Undavahr zuschritt. Undavahr riß die Augen weit auf, unfähig zu kämpfen, zu schreien oder weg zu laufen.
„Dies, mein Freund“, flüsterte der Fremde, als er auf Undavahr zuschritt „was Du da gerade empfindest, nennt man Angst. Du hast schon viel zu lange keine Angst mehr gehabt, denke ich. Das kann ich ändern.“
Undavahr stammelte etwas, er wusste selbst nicht was.
„Bring mich zu deinem Herrn. Bring mich zum König der Sklavenschinder. Ich habe ein Geschenk für ihn.“

Auch wenn Undavahr sich später nie mehr an das erinnern konnte was daraufhin geschah, so musste es wohl so gewesen sein, dass er den Fremden zum Thronsaal König Gonhars, seinem Vater, geleitet hatte. Seine Erinnerung setze erst wieder ein, als er die hundert und mehr Skelettsoldaten mit ihren Schwertern und Lanzen wahrnahm, die alle in einem großen Halbkreis um ihn und den Mann in dem grauen Umhang standen. Er erkannte auch einige seiner Familie. Ennevahr, seine Schwester. Corion, den alle die Peitsche nannten, Tuavahr, den Meister der Toten und Cuhor der Hexer.
Der Raum bebte vor Spannung und Undavahr, allmählich wieder klar werdend, schüttelte sich und drängte sich zwischen die anderen Krahder. Alle schauten gespannt zwischen dem Fremden und Gonhar, dem König hin und her. Gonhar war auch für einen Krahder unglaublich groß und sein Thron war ein massiger grauer Fels, glatt poliert durch die vielen Jahre die Gonhar und seine Vorfahren darauf verbracht hatten.

„Nun Fremder. Welche Worte sind es, die Du als Letztes von Dir geben magst?“, dröhnte Gonhars Stimme. „Was willst Du sagen,  ehe wir Dich packen und dem langsamen Feuertod überlassen.“
Der Fremde schwieg als dachte er über seine letzten Worte nach. Doch anstelle des Fremden platze es aus Undavahr heraus: „Er hat ein Geschenk, o König“. Verflucht! Das hatte Undavahr gar nicht sagen wollen. Was hatte dieser Mensch mit ihm angestellt?
Gonhar hob eine Braue und dann sprach der Fremde. Undavahr hörte dessen Worte sehr klar und deutlich obwohl er kaum mehr als ein Flüstern von sich gab.
„Ich weiß wer Ihr seid. Ich kenne Eure Geschichte, o Gonhar. Weit im Norden gibt es einen Baum. Einen Baum in dem Menschen die Zeit aufbewahren, die Geschichte. Sie bewahren die Geschehnisse, ihr Wissen und ihre Legenden auf. Auch euch kann man dort finden, eingerollt auf brüchigen Bögen Pergaments gleich neben einem Text über Waldpilze und Kräuter von zweifelhafter Wirkkraft. Lange habe ich dort studiert, ungesehen, unentdeckt im Verborgenen. Ich habe euch gesucht in diesen verstaubten Regalen und ledernen Büchern und ich habe euch gefunden.“ Ganz Langsam hob er den Kopf und Undavahr reckte seinen Hals um besser sehen zu können und endlich konnte er unter der Kapuze ein echsenartiges Gesicht mit dichtem Schwarzen Bart erkennen. „Eure schlimmsten Schandtaten sind dort in schönsten Handschriften festgehalten. Aber seid unbesorgt. Ich mag Schandtaten!“ Ein breites Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht.
„Mein Name ist Varkur und ich habe tatsächlich ein Geschenk für euch. Es heißt Andor.“

Gonhar ließ den Saal räumen. Nur er. Sein Sohn Undavahr und der Fremde blieben zurück. Dieser fuhr nun fort und berichtete von dem Land Andor und von den Menschen die dort lebten, die einst Gonhars Sklaven gewesen waren. Er verriet, dass sie von einem König namens Thorald, der nur ein blasser Schatten seines Vaters war, regiert wurden. Und natürlich erzählte er von den Helden und den Schildzwergen, die er erst kürzlich in eine große Schlacht verwickelt hatte. Denn die Kreaturen waren auf seinen Befehl hin in Cavern eingefallen, um die Zwerge zu schwächen und ihm die Möglichkeit zu geben, unbemerkt hier her zu kommen. Nach Varkurs Ausführungen herrschte Stille in dem Saal und Undavahr konnte nicht einschätzen, wie sein Vater reagieren würde.

„Dieses Land, Andor, wie Du es nennst, das wurde von je her von einem Drachen bewohnt“, sagte der König bedächtig.
„Er wurde besiegt von eben jenen Helden, von denen ich Euch schon berichtet habe, hoher König.“, erwiderte Varkur.
„Wir sollen in ein Land einfallen, in dem Helden leben, die einen Drachen töten können?  Warum sollten wir das tun, wenn sie solche Macht haben?“.
„Vater ist gerissen“, dachte Undavahr. „Beinahe so gerissen wie feige.“
„Aus zwei Gründen, sollt Ihr Euch dieses Land nehmen, wobei der erste der weit gewichtigere ist, Euer Hoheit“, sagte Varkur feierlich und wandte sich dann an Undavahr. „Wie ich sehe, hat Euer Sohn das edle Äußere seines Vaters geerbt. Wenn ich mich nicht täusche, habe ich solch ein Antlitz schon einmal gesehen. Ein stattlicher Krahder und tapferer Krieger war er.“
„Von wem redest Du Magier“, fuhr Undavahr auf.
„Von dem zweitgeborenen Sohn deines Vaters. Von deinem Bruder. Ferntahr, war sein Name, wenn ich mich recht erinnere, nicht wahr?“

Ferntahr, Undavahrs Bruder war vor einigen Jahren auf Wanderschaft gegangen. Ihn hatte dieselbe Leere geplagt wie Undavahr, doch konnte er als Zweitgeborener nicht einmal darauf hoffen, eines Tages König zu werden. Irgendwann hatte die Unrast die Oberhand gewonnen und Ferntahr war aufgebrochen um das Graue Gebirge zu erkunden. Er wollte neue Sklaven oder Schätze finden, sagte er bei seinem Abschied.

„Was wisst ihr von Ferntahr?“, rief Undavahr.
„Oh, es schmerzt mich, euch die schlimme Kunde zu überbringen. Doch auch er wurde Opfer der  Helden von Andor. Es geschah in der Ära Sternenschilds, in der sie auch mich bekämpften. Hinterrücks lockten sie deinen Bruder in eine Falle, kaum dass er seinen Fuß in ihr Land gesetzt hat.“
Undavahr schrie auf und warf einen nahebei stehenden Tisch um, der mehrere Meter durch die Halle flog. Sofort stürmten einige Krahder und fünfzig oder mehr Skelette in die Halle. Doch Gonhar beendete den Tumult und bald darauf trat wieder Stille ein. Dann wandte er sich erneut an Varkur.

„Gut Magier. Du hast nun meine ganze Aufmerksamkeit aber wisse: Ich werde mich nicht zur Spielfigur in deinen Ränken machen lassen. Ein Geschenk nennst du das? Dieses Geschenk ist vergiftet. Zauberer, Schildzwerge, Krieger und Bogenschützen. Mein Sohn Ferntahr ist in die Falle gegangen, doch ich werde nicht den gleichen Fehler machen. Sprich nun, was ist der zweite Grund weshalb ich meine Feste verlassen und mich in Gefahr bringen sollte?“
„Das will ich Euch sagen. Sobald ich zurückgekehrt bin, werde ich dafür sorgen, dass diese Helden das Land schutzlos zurücklassen. Ich selbst werde sie in den Norden und in den sicheren Tod locken.“
Gonhar kniff die Augen zusammen. „Und wenn Du scheiterst? Wenn sie dich erneut besiegen und wiederkehren?“
„Das werden sie nicht. Und falls doch, nun, genau deshalb bin ich ja hier …“, rief Varkur feierlich. „Macht ihre Heimat dem Erdboden gleich und holt Euch Eure Sklaven zurück. Füllt Eure Kerker und Minen mit frischem Blut! Vernichtet Andor! So werde ich auch in der Niederlage obsiegen!“
König Gonhar runzelte die Stirn, während Varkurs Worte in der großen Halle echoten.

Als Varkur am nächsten Tag die Feste von Borghorn verließ, begleitete ihn Prinz Undavar bis zum großen Tor.
„Dein Vater ist ein feiger alter Trottel!“, zischte Varkur. „Noch immer ist er unschlüssig, ob er mein Geschenk annehmen soll. Aber Du bist aus anderem Holz geschnitzt, mein Prinz. Lass nicht zu, dass seine Trägheit und Feigheit deinen Raubzug aufhält. Denk  an deinen tapferen Bruder. Räche ihn und hol dir zurück, was dir gehört.“
Undavahr nickte langsam.
„Noch etwas“, sagte Varkur im Gehen. „Für den Fall, dass ich im hohen Norden scheitere und die Helden zurückkehren muss ich dich warnen. Unter ihnen ist eine, die du wahrhaftig fürchten musst. Ich hoffe, dass ich ihr selbst ein überaus schmerzhaftes Ende bereiten kann. Aber falls nicht, so ist es vielleicht eines Tages an dir sie zu töten. Sie hört auf den Namen Chada. du darfst sie nicht unterschätzen. Ihr Wille kann Berge bersten lassen.“

Varkur verließ Krahd und wandte sich bald gen Norden. Wie seine Geschichte weiterging, wird in „Die Reise in den Norden“ erzählt.

Undavahr indes stierte in den Abendhimmel. Wolkenverhangen und trüb. Grau wie Blei. Doch anstelle einer Leere fühlte er große Erregung. Mit oder ohne die Erlaubnis seines Vaters, würde er bald sein Heer rüsteten und sich dann an der Spitze vieler hunderter Skelettsoldaten auf den Weg durch das Graue Gebirge machen. Er würde aufbrechen und sich das Geschenk des Magiers holen.

Autoren: Stefanie Schmitt und Michael Menzel