Das Geheimnis der Brüder

Laut brandete die Gischt des Hadrischen Meeres an die Küste des Wachsamen Waldes. Eine kleine Hütte stand grau und unscheinbar am Waldrand. Kaum hörbar über dem Rauschen der Wellen, war aus dem Inneren der Hütte ein leises Ächzen zu hören. Der Mann, der in der Hütte lag sah furchtbar aus. Schnitte und Kratzer zerfurchten sein Gesicht mit dem struppigen Bart. Getrocknetes Blut klebte ihm im Haar. Nur das leichte Heben und Senken seiner Brust und das unrhythmische Stöhnen, waren die einzigen Zeichen, die verrieten, dass er noch am Leben war. Er sah aus als wäre er in einem Kampf gewesen oder von einem wilden Tier angefallen worden. Kein Zweifel: Etwas Furchtbares musste ihm zugestoßen sein. Und dieses „Etwas“ war er selbst.

Die Flut umspülte die Knöchel zweier großgewachsener Männer, die sich unweit der Hütte leise unterhielten. Einer der beiden war völlig durchnässt und schlotterte im kalten Nordwind.

„Die Kogge ist zerstört. Viele sind umgekommen. Die Menschen haben einen neuen Anführer. Es ist einer dieser Dreckskerle, die uns gejagt haben.“

„Beruhige Dich, Bruder. Komm mit in meine Hütte. Wärm Dich auf.“ Erwiderte der andere, der in einen langen braunen Umhang gewandet war. Seine, wie auch die Haut seines Gegenübers schimmerte bläulich in der mondlosen Nacht.

„Nein. Ich gehe wieder fort. Ich muss meine Kräfte sammeln. Ich, ich, …“, der Mann starrte auf die mit Rietgras und Ästen gedeckte Hütte seines Bruders. „Der Mann, den ich dir gebracht habe. Er wird dir helfen das Werk zu vollenden.“

„Das Werk zu vollenden? Er wirkt so als würde er nicht einmal die Nacht überdauern. Wenn es mir nicht gelingt seine Wunden zu versorgen wird er bei gar nichts helfen.“

„Hör auf Spiele zu spielen, Leander!“, zischte der tropfnasse. „Du hast die Gabe der Voraussicht. Du weißt, ob er diese Nacht überlebt.“

Leander legte den Kopf schief. Er war der jüngere der beiden aber schon immer der klügere und geduldigere gewesen. Sein Bruder war früh von zu Hause aufgebrochen. Voller Tatendrang und einer unbeschreiblichen Gier nach Ruhm. Und den hatte er sich auch verdient – einen düsteren Ruhm.  Leander hingegen war zu Hause geblieben. Hatte lesen und ein wenig die Kunst des Heilens erlernt. Dann hatte er Interesse an Sprachen entwickelt. Erst lernte er die der umliegenden Länder, dann eines Tages die schwierigste Sprache von allen, die der Zukunft. Es war eine Form der Dunklen Magie, die ihn befähigte das zu sehen was nicht ist, sondern erst noch kommt. Doch wie immer forderte die Dunkle Magie ihren Tribut. In gleichem Maße wie Leanders Fähigkeiten wahrzusagen zunahmen, wurden seine Augen für das hier und jetzt schwächer, bis ihr Licht ganz erlosch. Jetzt konnte er weit voraussehen und doch erkannte er seinen Bruder, der direkt vor ihm stand, nur noch an dessen Stimme. Und hätte er gesehen wie ausgemergelt Callem war, hätte er vielleicht in einem anderen Ton geantwortet. Doch stattdessen rief er: „Das ist nicht so einfach, du Narr! Die Schatten der Gegenwart zu durchdringen um das Licht der Zukunft zu erkennen und zu deuten ist keine Kleinigkeit.“

Callem packte seinen jüngeren Bruder hart bei den Schultern. „Er ist eine Bestie, verstehst Du denn nicht! Ein Hautwandler! Er wird die Helden von Andor vernichten. Mit deiner Hilfe! Bruder! Wenn sie sich sicher fühlen, werdet ihr sie auf ihrer Burg, in ihrem Lager oder wo auch immer vernichten!“

Callems Stimme trug weit über die See und den Strand und Leander ermahnte ihn still zu sein.

„Genug jetzt. Ich teile deinen Hass gegen die Helden von Andor. Ich bin dein Bruder und dein Schmerz ist mir als wäre es mein eigener. Ich werde versuchen deinen Plan umzusetzen und …“

Plötzlich, während Leander sprach, öffnete sich ein kleiner Spalt in dem Dunkel seines Seins und das Licht der nahen Zukunft blendete ihn. Eine Vision! Dann, als würden sich seine Seher-Augen erst allmählich an die Helligkeit gewöhnen müssen, erkannte er Schemen sich nähernder Gestalten.

„Du musst fort, jetzt gleich. Die Vorsehung ist mit uns. Der Wolf, der verdammte Königswolf ist auf dem Weg hierher. Er und noch eine seltsame Kreatur. Der Wolf sucht deinen Freund. Er sucht Verbündete. Ich sehe es ganz deutlich – fort jetzt Bruder. Sei gewiss, ich werde dein Werk in die Tat umsetzen. Ich werde die Bestie unter die ahnungslosen Schafe schmuggeln und ich werde dafür sorgen, dass er deine Rache ausführt.“

„Sehr gut. Ja, Bruder.“, keuchte Callem nun voller Erregung. „Und begleite sie, werde ihr Freund und wenn sie am wenigsten damit rechnen, stelle sich gegen sie. Und lass sie wissen, dass es Callem war, den, den sie besiegt glaubten, der ihr Schicksal besiegelte.“

Dann verließ Callem seinen Bruder. Der versorgte indes die Wunden des Hautawandlers namens Drukil.

Im grauen Licht des ersten Morgens wirkten die letzten Baumstämme des Waldrandes schwarz wie die Stäbe eines Käfigs als Lonas der Wolf und Forn der Halbskral sie passierten.

Der Wolf ging voran. Er wusste wen er suchte, denn das Finden weiterer der Helden war die Aufgabe die ihm Chada gegeben hatte. Forn, der Halbskral, kaum weniger schnell auf den Beinen wie der Wolf, war bereits erwählt worden um den Tross der Andori zu begeliten. Ebenso Darh, die Beschwörerin. Endlich kam eine kleine Hütte am Waldrand in Sicht.

Wie die Geschichte weitergeht, ob Drukil tatsächlich seinen neuen Mitstreitern zum Verhängnis wird, wird sich zeigen, wenn ihr die Legenden von Andor mit den Dunklen Helden spielt! Viel Spaß dabei!