Forschungsstand zum Bannkreis von Choranat

Aufzeichnungen zum Bannkreis von Choranat
gesammelt und niedergeschrieben von Phlegon, Bewahrer am Baum der Lieder

Einst war der Bannkreis von Choranat ein Quell magischer Kräfte, ehe er dunklen Mächten in die Hände fiel. Manchmal spürten die Helden seine ursprüngliche Kraft noch.

Wenigen ist er bekannt, noch weniger wissen um seine wahre Macht und niemand kennt seinen Standort. Der Bannkreis von Choranat ist wohl eines der größten Mysterien unserer Zeit. Dies ist der Versuch, das Wenige, das über ihn bekannt ist, zu sammeln und mit meinen eigenen Erkenntnissen zu vereinen, auf dass meine Aufzeichnungen jenen weiterhelfen mögen, die sich jenem Geheimnis in späteren Zeiten anzunehmen gedenken.
Der Bannkreis von Choranat macht sich den Helden von Andor meist als dunkle Macht bemerkbar, welche im Kampf gegen die Kreaturen an ihrer Stärke zehrt und sie so schwächt. Dabei scheint es den Aussagen einiger Helden zufolge gewisse wiederkehrende Regelmäßigkeiten zu geben. Je mehr sie gegen die dunklen Mächte vorgingen, desto stärker mache sich der Effekt bemerkbar.

Doch erzählt man sich unter den Helden auch, dass die Macht von Choranat es möglich machen könne, durch bisher unergründete Zusammenhänge ihre Stärke und ihren Willen zu steigern. Doch sei es stets nur einer Person zur selben Zeit vergönnt, von dieser Kraft zu zehren. Aus meinen Nachforschungen hat sich ergeben, dass insbesondere vier der Helden für diese Macht des Kreises empfänglich sind. Da ist Aćh, die mit ihrem Takuri aus dem westlichen Tulgor kam. Choranats Feuer scheint mitunter direkt auf ihren getreuen Begleiter überzugehen. Aus entgegengesetzter Richtung war Barz nach Andor gekommen. Seine magischen Pulver kann er durch die Macht des Kreises verstärken. Dann gibt es da Ijsdur, den Eis-Dämon aus dem Kuolema-Gebirge. Offenbar kann auch er von den Flammen profitieren, ohne zu schmelzen. Und aus dem fernen Silberhall war die Zwergin Iril gekommen. Ihr wird es kraft des Bannkreises möglich, die Geschicke der Runen in geregeltere Bahnen zu lenken.
In ihrer Art nicht verschiedener könnten diese vier sein, und doch wird ihnen allen die Gunst zuteil, in außerordentlichem Maße die Macht von Choranat zu beziehen. Was ist es, das ihnen diese Kraft verleiht? Warum sind es gerade diese vier, die in solchem Ausmaß von jener unergründlichen Macht profitieren? Dieses Rätsel zu lösen ist eines von vielen ehrgeizigen Zielen, auf dessen Erreichen ich die Hoffnung viele Male aufzugeben gedacht habe. Und doch packte mich die Neugier immer wieder.

Die Archive des Baums der Lieder gaben zu diesem Zwecke anfangs nicht sonderlich viel her. Scheinbar hatte es bisher keine Bewahrer gegeben, die sich näher mit dem Bannkreis beschäftigt hatten. Doch ich wollte mein Glück versuchen.

Nun, wie der Name schon sagt, handelt es sich um einen Kreis. Dies zugrunde legend begann ich, alles über diverse Kreise zu sammeln, was ich in den Archiven auftreiben konnte. Ich ackerte mich durch bedeutende Schriften wie „Die Erfindung des Rades“, „Das Auge“ oder „Der Kreislauf der Natur“. Irgendwann glaubte ich, dem Mysterium näherzukommen, als ich in „Rituale aus alter Zeit“ von Stein- und Feuerkreisen las. Zwischen den Seiten war eine hastig gekritzelte Skizze herausgefallen, die durch ein fehlendes Stück Papier mehr als unvollständig war. Der verbliebene Fetzen zeigte einen Teil eines Kreises, in dem riesige Knochen zu regelmäßigen Linien angeordnet waren. War das eine Spur? Zu meinem Bedauern hatte der Zahn der Zeit die Seiten jenes Folianten in verheerendem Maße durchgekaut und die Lettern waren kaum noch leserlich. Es kostete mich einiges an Willenskraft und Zeit, doch es gelang mir, Querverweise zu anderen Schriften herzustellen.

Viele Schriftrollen später stieß ich auf die Beschreibung einer „wandernden Flamme“, die sich in einem „steinernen Kreis“ bewege. Irgendetwas sagte mir, dass ich auf dem richtigen Weg war. Ich unternahm den Versuch, die verschiedenen Quellen miteinander in Verbindung zu setzen, was bis dahin noch niemand getan zu haben schien. Nach mehreren Nächten Arbeit war es mir gelungen, die Schilderungen in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen:

Angenommen der Bannkreis von Choranat und die wandernde Flamme beschrieben dasselbe Phänomen, so war davon auszugehen, dass es sich dabei um einen Steinkreis handelte, der in verschiedene Segmente unterteilt war. Das Feuer wandelte von einem dieser Segmente zum nächsten und bewegte sich so im Kreis. Nur wenn die Flammen günstig standen, konnten jene mit reinen Absichten große Macht daraus beziehen. Wer hätte wohl reinere Absichten als die Helden von Andor?

Diesen Schilderungen nach lässt sich nun schlussfolgern, dass die Flamme durch die einzelnen Teile wandert und in bestimmten Konstellationen verschiedene magische Effekte bewirkt. Dies könnte erklären, warum gerade die Magischen Helden durch Choranat profitieren können. Allerdings bliebe dann die Frage offen, warum Eara, die die arkanen Künste von allen Helden wohl am intensivsten studiert und gemeistert hat, nicht mehr darüber weiß. Des Weiteren ist immer noch nicht geklärt, wieso der Bannkreis in heutigen Tagen dunklen Mächten gehört und gegen die Helden arbeitet. Egal, wieviel Zeit ich noch damit verbrachte, poröse Schriftrollen zu durchforsten, ich fand keine Antworten auf diese Fragen.

An dieser Stelle meiner Nachforschungen fühlte ich mich wieder einmal in eine Sackgasse manövriert. Doch sollte der weitere Weg unverhofft offenbart werden. Denn noch bevor die Helden vor Kurzem in den Norden aufbrachen, waren sie in die Geschehnisse Düsterer Zeiten verwickelt worden. Unvorhergesehene Ereignisse zogen Tapta und mich mit in dieses Abenteuer hinein, auf das uns niemand hätte vorbereiten können. Doch davon wird an anderer Stelle berichtet. Dennoch gibt es hier nun einen bis jetzt noch nicht niedergeschriebenen Teil der Geschichte zu berichten. Denn unsere Reise in die Düsteren Zeiten brachte neue Erkenntnisse bezüglich der Forschung am Bannkreis von Choranat.

Während die Helden sich der Geschicke Andors annahmen, spielte plötzlich ein gewisser Feuerkreis eine große Rolle. Hier sollte ein bestimmtes Ritual durchgeführt werden, um die große Düsternis ein für alle Mal zu beseitigen. Da wurden wir hellhörig. Ein Feuerkreis? Konnte dieser etwas mit Choranat zu tun haben? Handelte es sich vielleicht sogar selbst um ihn? Zu dieser Zeit schien das Land im Allgemeinen noch weitaus magischer und mystischer zu sein als wir es gewohnt waren. Alte Geister verliehen dem Land eine urtümliche Wildheit. War das des Rätsels Lösung? Gab es irgendeine Art Naturgeister, die etwas mit dem Feuerkreis zu tun hatten? Ich konnte mich jedoch nicht entsinnen, in den spärlichen Aufzeichnungen über die Alten Geister Andors jemals etwas über einen Feuerkreis gelesen zu haben.

Nachdem wir jenen Feuerkreis nun inspiziert und ihn mit unserem Kenntnisstand abgeglichen hatten, war uns klar, dass es sich dabei nicht um Choranat handeln konnte. Zu unterschiedlich waren Aufbau und Funktion beschrieben. Und doch gab es gewisse Parallelen. In einem Kreis waren mehrere Fackeln angeordnet. In deren Mitte waren mystische Zeichen in den Boden geschrieben, deren Bedeutungen ganz eigener Forschungen bedürften.
Als die Hexe Reka das Ritual am Feuerkreis vollzogen hatte, hatte sie das sehr mitgenommen. Wie jene wissen, die Kenntnis über die Düsteren Zeiten haben, war die Durchführung erfolgreich. Doch nicht nur Reka hatte sie viel Kraft gekostet, auch der Feuerkreis selbst schien seine Energie durch den mystischen Akt eingebüßt zu haben. Die Feuer, die ihn umgaben und ihm seine magische Macht verliehen hatten, flackerten nur noch schwach und erloschen teilweise ganz.

Als alles vorbei war und Reka sich einigermaßen erholt hatte, baten wir sie, uns in die Geheimnisse des Feuerkreises einzuweihen. „Einst war dies ein vor magischer Energie strotzendes Land“, hatte sie gesagt. Ihre müden Augen schienen dabei einen Punkt in weiter Ferne zu fixieren. „Orte wie dieser waren keine Seltenheit. Doch immer mehr wurde dem Land die Magie entzogen. Kräfte, die sich bekämpften, anstatt gemeinsam zu gedeihen, stumpften es ab. Heute geschah es wieder. Um die Dunkelheit zu vertreiben, führte ich jenes Ritual an diesem Ort durch. Die Macht des Feuerkreises machte das möglich. An diesem Ort war die ursprüngliche Macht des Landes noch sehr stark. Doch auch wenn sich die Dunkelheit damit vertreiben ließ, hat sie ihren Tribut gefordert.“ Sie schlug die Augen nieder. „Seht euch um.“

Der Feuerkreis war in der Tat nur noch ein Schatten seiner selbst. Die kräftigen Flammen waren schwach und gräulich geworden. Das war er nun also – ein einst mächtiger Ort, der von dunklen Mächten korrumpiert wurde. War es so auch Choranat ergangen? Den Namen des Bannkreises musste ich laut gemurmelt haben, denn Reka war darauf aufmerksam geworden und reckte mir schmunzelnd eine Schriftrolle entgegen. „Ich war selbst lange auf der Suche nach Antworten, ehe ich begriff, dass nicht jedes Mysterium gelichtet werden muss. Doch glaube ich, dass ihr mit meinen Überlegungen nun mehr anfangen könnt.“

In der Schriftrolle war eine detaillierte Zeichnung abgebildet. Ein steinerner Kreis war darauf zu erkennen. Grobe Steinbrocken waren zu einem Rund angeordnet, in dessen Inneren weitere kopfgroße Steine ein Kreuz bildeten und den Kreis so in vier gleiche Teile unterteilten. So sah also die ursprüngliche Form des Bannkreises von Choranat aus. Auf meiner groben Skizze waren eindeutig knochenartige Gebilde zu sehen. Hatten ihn die Dunklen Mächte nach ihrem Bilde neugestaltet? War das überhaupt derselbe Kreis? Wieder häuften sich neue Fragen. Neben die Zeichnung waren verschiedene Theorien und Annahmen gekritzelt worden. Reka hatte wohl zuvor schon versucht, dem Mysterium auf den Grund zu gehen – genau wie ich. Doch gesichertes Wissen hatte auch sie nicht schaffen können. Aus den Aufschrieben ging hervor, dass das Ziel ihrer Nachforschungen der Ursprung Choranats gewesen war. Doch außer einiger verschiedener Theorien ließ sich dem nicht mehr entnehmen. Einige der Schriften bezogen sich auf vier mächtige Magier, die ihre Macht in diesem Kreis zu bündeln versucht hatten, um so ihre Magie durch die Flammen anderen zukommen lassen zu können. Andere berichteten von weitaus höheren Wesen, deren Beschreibungen jedoch immer weitere Fragen und Geheimnisse aufwarfen. Wieder andere gingen von vier viel grundlegenderen Mächten aus, etwa den vier Elementen oder gar den vier Windrichtungen. Rekas Aufzeichnungen endeten mit den Worten:

Nur den findigsten aller intelligenten Wesen sei es jedoch gegeben, hinter den wahren Ursprung von Choranat zu kommen. Der Name ist der Schlüssel.

Über die Bedeutung des letzten Satzes habe ich mir nächtelang den Kopf zerbrochen. Bis jetzt bin ich jedoch zu keiner weiteren Erkenntnis gelangt. Ich habe immer wieder alte Pergamente studiert und nach versteckten Hinweisen gesucht. Doch muss ich an dieser Stelle davon ablassen und es in die Hände nachfolgender Interessierter geben, dem Geheimnis von Choranat auf den Grund zu gehen.

gez. Phlegon
Bewahrer am Baum der Lieder im Herbst des Jahres 72 nach andorischer Zeitrechnung