Prolog
Eine kleine Gruppe Zwerge stapfte durch die erdrückende Hitze. Ihre Gesichter waren ausdruckslos und zeigten keinerlei Emotion. Die einfache Kleidung war dreckig, die Körper der Zwerge von jahrelanger Unterernährung abgemagert und an den Armen waren teilweise Verbrennungen zu erkennen. Einer der Zwerge bekam wegen der staubigen Luft einen Hustenfall und blieb daher kurz stehen. Sofort hielt ihm einer der Skelettkrieger, die die Gruppe bewachten, sein Schwert an den Rücken. Verängstigt stolperte er weiter. Wie an jedem Morgen wurden die Zwerge unter den Ambacu aus den Sklavenlöcher der Feste von Borghorn geholt und entlang des großen Lavafluss Enran in die immerwütende Schmiede Ruuor gebracht, wo sie den ganzen Tag lang arbeiteten und schließlich am späten Abend wieder zurück in ihre Zellen gebracht wurden. Wobei eigentlich so etwas wie ein "morgen" oder "abend" praktisch existierte, da man die Sonne vor lauter Staub sowieso fast nie zu Gesicht bekam.
Die Gruppe war mittlerweile an ihrem Ziel angekommen. Ein mächtiger Wachtroll stand am Eingang der größten Schmiede Krahds. Die Ambacu traten wortlos ein und verteilten sich sofort an ihre jeweiligen Arbeitsplätze. Einer der Zwerge ging zielstrebig auf den wichtigsten Bereich zu - die Waffenschmiede. Es war eigentlich untypisch für die sonst so feigen Krahder ihren Sklaven Zugang zu solch gefährlicher Ausrüstung zu gewähren, aber für ihre unzähligen Kriegszüge waren ihre Armeen auf Waffen von zwergischer Qualität angewiesen. Dennoch lag es auf der Hand, dass dieser Bereich besonders gut bewacht wurde. Zwei Skelette bewachten Tag und Nacht den Eingang und während der Arbeit der Zwerge schauten ihnen immer vier weitere Skelette über die Schulter, damit diese nur ja keine Waffen mitnahmen.
Der neu angekommene Zwerg nickte und dem anderen verstohlen zu. Daraufhin setzte dieser sich in Bewegung in Richtung des Skeletts, das am dichtesten bei ihnen stand und begann auf es einzureden. Der andere Zwerg sah sich noch einmal schnell um und steckte schnell ein paar in Lederlappen eingewickelte Dolche in eine Tasche seiner Kleidung. Größere Waffen konnte er nicht mitnehmen, da diese sofort bemerkt werden würden. Der Zwerg blickte sich noch einmal um. Der Skelettkrieger schickte seinen Freund gerade mit einer genervten Geste zurück an die Arbeit. Offenbar hatte er keinen Verdacht geschöpft. Drak war erleichtert. Sobald seine Arbeitszeit vorbei war würde er die Dolche in ein geheimes Versteck bringen. Dort hatten er und der andere Zwerg bereits bei mehreren Gelegenheiten einige Waffen beschafft, jedoch nie so viele, dass es den Krahdern aufgefallen wäre. Sobald sie genug Waffen zusammen hätten, um die ganze Gruppe auszurüsten, und die verbündeten Ambacu ausreichend Lebensmittel hätten, um eine längere Reise durch das unbekannte Gebirge im Norden zu überstehen, würde die Gruppe der Unfreien unter der Führung des tapferen Brandur die Flucht vor den Sklavenschindern wagen. Und bis jetzt lief alles nach Plan.
Plötzlich schrie ein Zwerg erschrocken auf, als etwas Lava, die als Hitzequelle zum Schmieden verwendet wurde, hochspritzte. Stolpernd wich dieser zurück und lief rückwärts genau in den überraschten Drak hinein. Beide stürzten zu Boden. Dabei fiel einer der Dolche, die Drak eingesteckt hatte, heraus und auch der Lederlappen, der ihn verborgen hätte, löste sich. Es wurde augenblicklich totenstill. All die Hammerschläge waren verstummt. Drak fluchte. Kurz über legte er, ob er versuchen sollte wegzulaufen, doch selbst wenn Ruuor nicht so gut bewacht wäre, hätte er mit seinen kurzen Beinen keine Chance gegen die Verfolger gehabt. Und wo hätte er überhaupt hin fliehen sollen? Also ergab er sich, woraufhin die Skelette ihn mit einem schmerzhaften Griff packten und hinaus schleiften.
Hoffnungslos ließ Drak den Kopf hängen. Die Krahder kannten keine Gnade bei Sklaven, die versuchten sich gegen sie aufzulehnen. Er konnte seinem Schicksal nicht mehr entgehen. In der Nähe der großen Wurfmaschine Zera blieben sie stehen. Prinz Gonhar näherte sich ihnen würdevoll. Doch als die Skelette ihm das Diebesgut zeigten, verzerrte sich sein Gesicht zu einer drohenden Grimasse. Wütend zischte er: "Wie kannst du erbärmlicher Verräter es wagen? Dachtest du etwa, mit dieser jämmerlichen Ausrüstung könntest du uns stürzen? Sage mir sofort, wer deine Komplizen sind oder du wirst den Tag bereuen an dem du geboren bist!". Drak schwieg. Gonhar wiederholte seine Frage nochmals. Drak schwieg. "Gut, wie du willst. Dann werft ihn eben in den Lavasee", befahl Gonhar den Skeleten gleichgültig und wandte sich zum Gehen. " Nein", rief plötzlich ein Ambacu und rannte auf Gonhar zu. "Er kann nichts dafür. Er hat nur getan, was ich ihm befohlen habe. Ich bin der Aufrührer. Mich solltet ihr bestrafen. Nicht ihn." Drak seufzte. Wieso musste dieser Idiot unbedingt versuchen ihn noch zu retten? Von den Khradern getötet zu werden war für Drak zwar keine sonderlich rosige Aussicht, aber sein ganzes restliches Leben in Krahd zu verbringen war auch nicht viel besser. Außerdem brauchten die anderen ihn nicht unbedingt. Sie würden die Flucht auch ohne ihn durchziehen können. Aber wenn Brandur sich jetzt auch noch für ihn opferte ... standen die Chancen denkbar schlecht. Doch gleichzeitig war Drak klar, dass Brandur niemals einen Unschuldigen einfach so opfern würde, ohne zumindest zu versuchen, ihm noch zu helfen. Insbesondere nicht, wenn Brandur sich selbst dafür verantwortlich machte, dass dieser überhaupt erst in Gefahr geraten war. Prinz Gonhar dachte kurz über Brandurs Worte nach. Dann lachte er grausam auf. "Auch gut, dann wirst eben du dem Feuer des Enran geopfert werden. "Was ist mit Drak?", fragte Brandur unberührt. "Er ist unser bester Schmied und arbeitet sonst sehr hart. Wir haben noch Verwendung für ihn. Außerdem bin ich sicher, auch dein vorzeitiger Tod wird ihm eine Lehre sein, sodass er sich in Zukunft sicherlich besser benehmen wird." Gonhar nickte den Skeletten zu, woraufhin diese den Ambacu packten und abführten, seinem Tod entgegen.
In einiger Entfernung stand ein junger Ambacu in Begleitung des Hexenmeister Caranor, der alles beobachtet hatte. Nun sank er in sich zusammen und begann untröstlich zu weinen.
Gonhar war sich sicher, dass ein einziger Ambacu mehr oder weniger keinen großen Unterschied machen würde. Vermutlich würde er ihn am nächsten Tag bereits wieder vergessen haben. Und dennoch hatte er das seltsame Gefühl, dass seine Entscheidung viel größere Auswirkungen haben würde, als er sich vorstellen konnte.