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Bird's Legenden von Andor - Kapitel IV

Bird's Legenden von Andor - Kapitel IV

Beitragvon Bird » 13. Januar 2018, 15:53

Verehrte Gäste und Zuhörer,

als ich erstmals beschloss, in der Taverne zu erzählen, hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich tatsächlich einige hier mit den Geschichten aus meiner Heimat erfreuen kann. Deshalb möchte ich jenen, die gerne meinen Erzählungen lauschen und besonders denen, die mir mit schönen Worten zeigen, dass ich hier willkommen bin und mich stets auf neue ermutigen, wieder hierher zu kommen und weiter zu erzählen, meinen ganz besonderen Dank aussprechen.
Doch genug davon, ich bin nicht hier, um rührselig zu werden, sonder um zu erzählen.

Kapitel IV – Begegnungen und Aufbruch

Thorn richtete sich auf, wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und ließ erneut seinen Blick über den verwüsteten Markt schweifen. Es war weder der erste, noch der letzte oder der schwerste Blutsturm in diesem Jahr gewesen, doch die Schäden, die er hinterlassen hatte, waren trotzdem beträchtlich. Beinahe jeder einzelne Andori war seit dem frühen Morgen, sobald sich der Sturm gelegt hatte, auf den Beinen und kämpfte auf die eine oder andere Weise gegen die Schäden. Trotz der Verwüstung um ihn herum erfüllte Stolz Thorns Herz, wie jedes mal wenn er sah, wie die Menschen von Andor in einer solchen Lage zusammenhielten. Wohin sein Blick auch wanderte, niemand war zu sehen, der sich nur um sich und seine eigenen Belange kümmerte, gemeinsam wurden abgedeckte Dächer ausgebessert, Trümmer beiseite geräumt, Wände neu errichtet oder ganze Marktstände wieder aufgebaut.
Auch seine einhundert Männer und Frauen der Stadtwache, sowie die etwa fünfzig königlichen Meldegänger und Späher waren seit Stunden mitten im Geschehen und halfen, wo sie nur konnten. Ursprünglich nur zum Schutz vor Angriffen eingeteilt, hatte es nicht lange gedauert, bis die ersten Soldaten damit begonnen hatten, Verwundete zu versorgen, Hilfsgüter zu verteilen oder die Aufräumarbeiten zu koordinieren und selbst mit anzupacken.
Ein Ruf schreckte Thorn in diesem Moment auf und er ließ von seiner Arbeit an einem der kleineren Stände ab, in dem er und der Inhaber gerade den Verkaufstisch wieder zusammengesetzt hatten.
„Hauptmann!“, es war Dalikan, einer der Meldegänger, der sich ihm im Laufschritt näherte. Thorn unterdrückte ein Grinsen. Einmal, dachte er, nur einmal möchte ich einen Meldegänger sehen, der sich nicht rennend fortbewegt, sondern geht wie ein normaler Mensch.
„Das Licht der Sonne mit dir, Hauptmann!“ grüßte Dalikan und salutierte vor Thorn, indem er die rechte Hand gegen die linke Brust schlug. Thorn erwiderte den Salut und nickte Dalikan zu. „Und mit dir, Dal. Was gibt es?“ fragte er.
„Sämtliche Meldungen über die Lage nach dem Sturm sind bei Prinz Thorald eingegangen, Hauptmann Thorn.“ begann der junge Mann. „Den Freien Markt hat es am schwersten getroffen, doch auch die südlichen Flusslande, die meisten der Höfe im Süden und besonders der des Alten Luque wurden stark beschädigt oder zerstört. Allem Anschein nach hat der Blutsturm jedoch nach Norden hin beträchtlich an Kraft verloren. Dort sind die Schäden bei weitem geringer, hauptsächlich Leichtverletzte, die nicht rechtzeitig Schutz finden konnten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es viel schlimmer hätte kommen können, es gibt keine Toten oder solche, die an der Schwelle zum Tod stehen. “
Thorn nickte erneut, Erleichterung durchströmte ihn. Dass seine Eltern wohlauf waren und auch ihrem Hof kaum etwas geschehen war, davon hatte er sich noch auf dem Weg zum Markt überzeugt, doch das war eine sehr gute Nachricht. Häuser konnte man reparieren, Stände wieder aufbauen, doch verlorene Leben ließen sich nicht ersetzten.
„Auch die Ernte ist zu großen Teilen verschont geblieben.“ fuhr Dalikan fort. „Die meisten Bauern hatten das Getreide, das den Blutsturm nicht überstanden hätte, schon abgeerntet und die übrigen Feldfrüchte sollten widerstandsfähig genug sein.“ Er zögerte einen Moment, bevor er weiter sprach,
„Der Prinz hat verfügt, dass die Hälfte deiner Leute die Instandsetzung des Freien Marktes schützen soll, die übrigen sollen sich in den Süden des Landes aufmachen um dort tätig zu werden. Dich hingegen hat der Prinz so rasch es dir möglich ist, in die Rietburg zurück beordert.“
Thorns Augen runzelte die Stirn, was konnte eine solche Dringlichkeit rechtfertigen, wenn doch das halbe Land mehr oder weniger in Trümmern lag?
Außer... Seine Eingeweide verkrampften sich, als ihm die einzig vernünftige Erklärung in den Sinn kam. Der Zustand des Königs musste sich weiter verschlechtert haben!
Thorn überlegte einen Moment.
„Ich habe verstanden, danke Dal.“ sagte er schließlich und salutierte erneut, auch der Meldegänger schlug seine Faust gegen die Brust, bevor er sich im Laufschritt wieder davonmachte.
Thorn wandte sich an den Inhaber des Standes, murmelte ein Wort der Entschuldigung und schritt rasch davon. Er marschierte über den Markt auf der Suche nach Elath, der rechten Hand des Wachhauptmanns, bis er ihn auf einem Wagen stehend fand, der offenbar von der Taverne herüber geschickt worden war, denn Elath verteilte Brot, Käse und gewässerten Wein an die Hungrigen und Durstigen.
Als Thorn sich näherte, traten viele vor ihm zurück um ihm Platz zu machen. Er zwang sich zu einem Lächeln und einem dankbaren Nicken bis er vor seinem Stellvertreter stand. Elath blickte auf und salutierte eilig, als er Thorn erkannte. Leichtfüßig sprang er von dem Wagen herunter und Thorn erklärte ihm in knappen Worten die Befehle des Prinzen.
„Es soll geschehen, Hauptmann.“ gab Elath zur Antwort als Thorn geendet hatte und begann die übrigen Wachen am Tavernenwagen über ihr weiteres Vorgehen in Kenntnis zu setzen.
Thorn hingegen blickte noch einmal über den gesamten Markt. Es herrschte noch immer Chaos, doch verglichen mit der Lage, die sie bei ihrem Eintreffen vorgefunden hatten, war dies kein Vergleich.
Der Sturm legt sich, dachte Thorn, und gleich der Sonne, die jeden Morgen von neuem aufgeht, erheben auch wir uns nach jeder dunklen Nacht erneut. Er wandte sich um und betrat die Straße zur Rietburg, den Kopf nun voller düsterer Gedanken was ihn dort erwarten würde.

Sanft glitt Ko'ar durch die Luft. Ein Aufwind erfasste ihn und er schlug einige male kräftig mit den Flügeln um an Höhe zu gewinnen. Schier endlos erstreckte sich die sonnengelbe Grasebene unter ihm. Nichts berührte seinen Blick, das für seine Fennah und dieses andere Menschenweibchen gefährlich sein konnte.
Ko'ar entdeckte einen verfallenen Steinbau auf einem kleinen Hügel unter ihm, ein idealer Ort um zu landen und nach etwas essbarem zu suchen. Er hielt direkt darauf zu und ließ sich langsam tiefer sinken, doch urplötzlich drehte er ab und stieg wieder auf. Gefahr! Im Geist griff er nach dem Band, um Fennahs Gedanken zu erreichen und sie zu warnen. Sie durften sich diesem Ort nicht nähern!


Die Burg lag nur etwas über zwei Wegstunden vom Freien Markt entfernt und schon von dort aus konnte Thorn am Horizont den Königsturm aufragen sehen, von der Sonne bestrahlt, ragte er glänzend wie ein goldener Pfeil hoch in den Himmel. Nach kurzer Zeit erreichte Thorn den Fuß des Hügels auf dem die Rietburg thronte und der Weg führte nun sachte bergauf. Sein Atem ging schneller, die Luft war wie meistens nach einem Blutsturm heiß und schwül, kein Wind regte sich mehr.
Hätte ich mir am Tavernenwagen doch noch einen Becher Wein genommen, dachte Thorn verärgert, als er spürte, wie ihm der Schweiß den Nacken hinab lief um von seinem schweren blauen Umhang aufgesogen zu werden, den er als Soldat der Stadtwache trotz der Hitze über Kettenhemd und Tunika zu tragen hatte.
Thorn hielt einen Moment inne. Ein paar Schritte rechts von ihm stand neben der Straße ein großer Apfelbaum, auf dem Hügel dahinter konnte er die Ruine des alten Wehrturms erkennen. Dieser Turm musste noch aus einer Zeit stammen, bevor die Ambacus Andor erreicht hatten.
Thorns Schritte führten ihn direkt auf den Apfelbaum zu, dessen Früchte einen so schweren und süßlichen Duft verströmten, dass dieser seinen ausgetrockneten Mund regelrecht aufschreien ließ.
Merklich kühlere Luft umfing Thorn, als er in den Schatten des Baumes trat, er streckte seine Hand nach einem der Äpfel aus, pflügte ihn ab, und als sich seine Zähne durch die Schale bohrten und der süßlich saure Saft seine Kehle hinab rann, atmete Thorn erleichtert auf.
Ein lautes Geräusch ließ ihn urplötzlich erstarren. Ein dumpfer, dröhnender Laut, fast wie ein Grunzen, der Ruf eines Trolls! Thorn wirbelte herum in Richtung des alten Wehrturms, von wo aus der Ruf gekommen war, und da sah er ihn. Hinter der Ruine trat ein Troll hervor, schnaubend, mit einem siegesgewissen Ausdruck auf dem tumben Gesicht stapfte er auf Thorn zu, eine gewaltige Holzkeule hinter sich her schleifend.
Die Trolle von Andor waren furchterregende Geschöpfe, drei Schritt und mehr ragte ihre muskulöse Gestalt in die Höhe, spitze Hörner wuchsen ihnen aus dem Schädel und ihre Haut war so dick, dass sie nur schwer von einer Waffe durchdrungen werden konnte.
Die Worte groß, stark, einfältig und böse beschrieben diese Wesen wohl am treffendsten, denn scheinbar ohne Verstand versuchten sie blindlings wieder und wieder alles zu zerstören, was die Menschen von Andor errichteten. Die griffen Höfe, Hütten, Häuser und gelegentlich sogar die Rietburg selbst an, verschlangen Menschen und Tiere gleichermaßen, wenn sie sie zu fassen bekamen und zogen sich dann wieder zurück.
Thorn spürte wie sein Herz schneller schlug, er war allein und kein Mann konnte allein einen Troll bezwingen! Seine Stadtwache war unten am Markt, doch dorthin konnte er nicht, es käme einem Festmahl für den Troll gleich, würde er ihn dorthin locken und den Hügel hinauf zur Burg würde der Troll ihn gewiss einholen.
Der Troll kam immer näher, Thorn sah nur noch eine Möglichkeit er musste das Wagnis eingehen, er packte sein Langschwert, zog es mit einem schleifenden Geräusch blank und trat dem Troll entgegen. Einen Moment lang standen sich die beiden gegenüber, der riesenhafte Troll blickte scheinbar spöttisch auf den nur gut halb so großen Thorn hinab.
Dann, mit einem erneuten Grunzen, hob er seine Keule und ließ sie auf Thorn nieder fahren. Gerade noch rechtzeitig gelang es Thorn zur Seite zu springen, die Keule schlug dicht neben ihm auf die Erde auf und Thorn meinte zu spüren, wie der Boden erzitterte. Hastig hieb er nach der Pranke des Trolls aus. Der Aufprall fühlte sich an, als hätte er versucht, sein Schwert in zähen Lehm zu stoßen, zwar spürte er, wie die Klinge die Haut durchdrang, doch der Schnitt war nur von etwa einem Fingerbreit Tiefe. Der Troll brüllte auf, als Thorn sein Schwert unter Anstrengung wieder aus der Hand des Trolls herausriss und schlug mit der verletzten Pranke nach Thorn. Die Faust des Trolls prallte gegen Thorns Brust mit der Kraft eines Rammbocks. Thorn taumelte zurück, die Luft wich aus seinen Lungen und einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen.
Wieder hob der Troll seine Keule und ließ sie dieses mal einen waagrechten Bogen beschreiben. Thorn musste sich zu Boden werfen um nicht getroffen zu werden, da sah er die Keule schon ein weiteres mal von oben auf sich zukommen. So schnell er konnte rollte er sich zur Seite und abermals verfehlte ihn der Hieb nur denkbar knapp, doch der Troll stand nun über ihm, sein Schwert hatte Thorn losgelassen, als er sich zu Boden geworfen hatte und es lag nun unerreichbar neben einem der klobigen Füße des Trolls. Hektisch kroch Thorn rückwärts, weg von dem Troll, doch es war hoffnungslos, jeden Augenblick würde der Troll den ungleichen Kampf zu Ende bringen.
In diesem Augenblick hallte der Klang eines Horn über das Rietland, nicht der blecherne Ruf der Fanfaren, der Thorn schon oft auf der Rietburg begrüßt hatte, sondern ein langgezogener, warmer Laut wie der eines Jagdhorns und ließ den Troll innehalten.

„Dort drüben!“ Chada packte Fennah am Arm und wies auf einen Hügel südlich von ihnen, Fennah folgte ihrem Blick, doch sie wusste bereits was sie dort sehen würde. Nachdem Ko'ar's Blick ihr den Troll am alten Turm gezeigt hatte, hatte sie beschlossen, sich weiter nördlich, in Richtung des Sommerfelsens zu halten, doch was ihre Augen nun erblickten, berührte eine Erinnerung in ihr, die sie bisher nur mit einem Menschen geteilt hatte, tags zuvor in einer Höhle im Wachsamen Wald.
In der Ferne wirkte der blonde Mann geradezu winzig, der dort ganz allein mit gezücktem Schwert einem Troll gegenüber stand und verzweifelt der Keule auswich, die das Biest todbringend wieder und wieder gegen ihn schwang.
„Wir müssen etwas tun!“ riss Chadas Stimme sie aus ihrer Starre. „Wir müssen helfen!“
Fennah konnte ihr im Gedanken nur zustimmen, nur weil sie allein im Wald lebte, bedeutete das nicht, dass ihr ein Menschenleben gleichgültig war. Zudem ging es hier um mehr als das, sie spürte ihren Hass auf die Trolle rot und heiß hoch lodern, als sie sah, wie der Troll auf den nun am Boden liegenden Mann zuschritt, die Keule hatte er fallen gelassen, die Pranken ausgestreckt, das Maul begierig aufgerissen.
„Dieser Narr! Wer ist so töricht, sich alleine einem Troll zu stellen!“ fluchte sie laut. „Halte deinen Bogen bereit!“ fügte sie an Chada gewandt hinzu, nestelte an ihrem Gürtel und griff nach dem sandfarbenen Signalhorn, das dort hing, führte es an die Lippen und blies hinein.
Der Hornstoß hallte weit über die Ebenen des Landes und er schien seine Wirkung nicht zu verfehlen, der Troll erstarrte in der Bewegung und wandte den Kopf in ihre Richtung. Ein zweites mal ließ Fennah ihr Horn singen, bis der Troll gänzlich von dem Mann abließ und sich nun in ihre Richtung bewegte.
„Was tust du da? Jetzt kommt er auf uns zu!“ schrie Chada neben ihr auf, doch ihren Bogen hatte sie schon erhoben.
„Du wolltest doch etwas tun.“ gab Fennah zur Antwort und ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, als auch sie nach ihrem Jagdbogen griff.
Der Troll wurde immer schneller, als er den Hügel hinabstürmte, ihnen entgegen, in diesem Moment ließ Chada ihren ersten Pfeil fliegen. Sie weiß was sie tut, dachte Fennah anerkennend, der Troll war gut und gerne noch hundertzwanzig Schritt entfernt, doch der Pfeil fand sein Ziel in der Schulter des Ungetüms und blieb stecken. Fennah konnte das schmerzverzerrte Brüllen des Trolls hören und ihr Mund verzog sich zu einem dämonenhaften Grinsen, da hatte Chada schon einen weiteren Pfeil mit der selben Treffsicherheit abgeschossen.
Als der Troll noch etwa sechzig Schritt entfernt war und Fennah nun ihren ersten Pfeil auf den Weg schickte, streckten bereits acht oder neun von Chadas Pfeilen in seiner Brust und Bauch und ließen ihn rasend vor Wut und Schmerz laut aufbrüllen und schnauben. Doch mit jedem Schritt den er tat, mit jedem Pfeil der ihn traf, schien der Troll schwächer zu werden, er wurde immer langsamer und auch sein Brüllen verlor merklich an Kraft. Hinter dem Troll konnte Fennah erkennen, dass der blonde Mann nicht mehr am Boden lag, sondern mit langen Schritten, sein wieder Schwert in Händen, dem Troll nachjagte. Schließlich kam der Troll zum stehen, nur noch etwa dreißig Schritt von ihnen entfernt und in diesem Moment hatte ihn der Mann eingeholt. Er schwang sein Schwert hoch über den Kopf und schlug damit so fest er konnte von hinten nach dem Oberschenkel des Trolls. Dieser gab ein schmerzerfülltes Grunzen von sich, sank auf die Knie und schlug mit der Pranke nach dem Mann, der dem halbherzigen Hieb diesmal mühelos auswich.

Es war vorbei. Thorn trat vor, er konnte es nicht fassen, dass er noch lebte. Vor wenigen Augenblicken war er sich sicher gewesen, sein Leben würde hier und heute enden, doch das Schicksal in Form dieser zwei dunkel gewandeten Bogenschützen schien andere Pläne mit ihm gehabt zu haben. Der Troll kniete nun erschöpft auf der Erde und atmete schwer. So wäre es ein Leichtes, ihm die Kehle durchzuschneiden und Andor von einem weiteren dieser Monster zu befreien. Der Troll machte nicht einmal mehr Anstalten sich zu wehren, als Thorn sein Schwert erhob, er zielte...
und ließ es sinken. Er wollte diesen Troll nicht töten, nicht so, nicht wenn er verwundet und wehrlos vor ihm kauerte. Thorn hatte gesehen wozu Trolle fähig waren, er hatte schon mehrere Kameraden an sie verloren und auch er hatte schon Trolle getötet, doch hierin lag keine Ehre.
Er wandte sich von dem Troll ab, schob sein Schwert zurück in die Gürtelscheide und ging auf seine beiden Retter zu. Die beiden Frauen waren dunkelgrün gekleidet und eine von ihnen trug das Wappen der Bewahrer, den Großen Baum auf der Brust. Natürlich, dachte er, in wessen Händen wären Pfeil und Bogen todbringender als in den Händen der Wächter. Bei der anderen Schützin, die rothaarig und etwas kleiner war, konnte er allerdings keinen Hinweis auf ihre Zugehörigkeit erkennen.
„Habt Dank für...“ begann er, doch die kleinere Frau fiel im ins Wort.
„Hast du denn keinen Verstand?“ fuhr sie ihn zornig an. „Wir retten dein Leben und du vermagst es nicht, das hier zu Ende zu bringen? Diese Bestie würde nicht einen Wimpernschlag zögern, unser aller Leben zu beenden und du bildest dir ein, ihn verschonen zu müssen?“
Thorn zuckte zurück als hätte sie ihn geschlagen. So etwas hatte er nicht erwartet und zunächst wusste er nicht, wie er reagieren sollte, da öffnete die Frau wieder ihren Mund. Als sie nun sprach war ihre Stimme kalt wie eine Winternacht.
„Wenn du zu schwach bist, werde ich tun, was getan werden muss.“ Ihre Hand fuhr nach hinten zu dem Waffengurt, der über ihrer Schulter hing. Sie zog ein kurzes Schwert und schritt auf den Troll zu, ihre roten Haare tanzten wie eine Krone aus Flammen um ihren Kopf. Die größere Bogenschützin, die Wächterin, griff jedoch nach ihrem Arm und hielt sie zurück.
„Halte du mich nicht auf, Chada!“ war die Antwort, die sie darauf bekam, doch ihre Hand hielt den Arm der Rothaarigen weiterhin fest umschlossen.
„Fennah.“ sagte sie mit ruhiger Stimme und blickte der kleineren Frau sanft in die Augen. „Lass es gut sein. Lass ihn gewähren. Es ist vorbei, es wird uns nicht helfen, diesen hier zu töten.“
Aufmerksam beobachtete Thorn, was sich vor seinen Augen abspielte. Die beiden Frauen schienen ihn beinahe vergessen zu haben, sie starrten sich gegenseitig an und hielten den Blick aufrecht, die eine besänftigend, die andere zornig. Nach Stunden, so kam es Thorn beinahe vor, senkte schließlich die kleinere der beiden den Blick, wie Regentropfen schien die Anspannung von ihrem Gesicht zu fließen.
„Gut, wie du willst.“ sagte sie, steckte ihr Schwert zurück den Waffengurt und wandte sich nun wieder Thorn zu.
„Und du, was wolltest du damit bezwecken, allein einem Troll gegenüber zu treten? Die meisten Menschen würden das Dummheit nennen.“
Zu der Erleichterung, die Thorn darüber verspürte, noch am Leben zu sein, mischte sich Verärgerung als er dies hörte. Glaubte diese Frau denn, er habe aus freien Stücken so entschieden? Doch ein Streit würde hier kaum zu etwas führen, also holte Thorn tief Luft und erwiderte:
„Ich hatte schwerlich eine andere Wahl, der Troll überraschte mich hier auf dem Weg zur Burg. Bis dorthin hätte ich es nicht geschafft, er hätte mich sicher eingeholt und auch der Freie Markt war keine Möglichkeit, wir sollen ihn schützen, nicht in weitere Gefahr bringen.“
„Auch wir sind auf dem Weg in die Rietburg.“ mischte sich jetzt die größere, dunkelhaarige Frau ein. Ihre Stimme war angenehm zu hören, dachte Thorn, jugendlich, doch zugleich warm und weich.
„Meister Melkart vom Baum Der Lieder schickt mich mit Warnung und Kunde zu deinem König.“
Sie holte einen Umschlag aus ihrem Mantel hervor und Thorn konnte das Siegel der Bewahrer darauf erkennen.
Warnung? Thorn merkte auf. Welche Gefahr drohte ihnen aus dem Wald?
„Von welcher Warnung sprichst du, Wächterin des Großen Baumes?“ fragte er.
„Ich bin keine Wächterin.“ gab sie zurück. „Mein Name ist Chada, ich bin noch Novizin. Es tut mir leid, doch die Nachricht ist nur für König Brandur bestimmt, er wird zu entscheiden haben, wie er damit verfährt, wen er ins Vertrauen zieht.“ sagte Chada und steckte den Umschlag zurück in ihren Umhang
Auch wenn Thorn befand, dass er als Wachhauptmann dieses Landes durchaus von den Gefahren wissen sollte, die sein Volk bedrohten, hatte Chada natürlich recht, diese Entscheidung oblag dem König.
„In diesem Fall werde ich euch, wenn es euch recht ist, zur Rietburg bringen.“ bot Thorn an und Chada antworte mit einem kurzen Kopfnicken.
„Dann lasst uns aufbrechen, bis zum Burgtor ist es nur eine Wegstunde, doch es ist gefährlich, allzu lange auf der Straße zu verweilen, wer weiß wie viele seinesgleichen noch in der Gegend sind.“ sagte Thorn und wies auf den Troll, der nun schwankend und schnaubend auf die Beine kam und humpelnd davon zog. Thorn blickte ihm nach um sicherzugehen, dass sein Weg ihn nicht zum Markt oder in Richtung einer Siedlung führte, dann wandten er und die anderen sich um und machten sich auf den Weg hoch zur Burg.
„Sei versichert, im Umkreis von mindestens drei Wegstunden werden wir keine weiteren Trolle antreffen.“ bemerkte die rothaarige Frau einige Schritte später.
Thorn sah sie verwirrt an. Wie konnte sie sich so sicher sein? Doch im Augenblick beschäftigte ihn Wichtigeres, also sagte er stattdessen: „Ich habe euch noch gar nicht gedankt, dafür dass ihr mein Leben gerettet habt. Nun, ich danke euch. Nebenbei, mein Name ist Thorn, Sohn von Havon, Wachhauptmann der Rietburg.“
„Fennah.“ entgegnete die Rothaarige. „Allerdings lass es nicht zur Gewohnheit werden, in den letzten Tagen rette ich für meinen Geschmack schon zu viele vor dem Tod.“
Da Thorn nicht wusste, was sie damit meinte, oder was er darauf sagen sollte, wandte er sich an Chada, die neben ihm ging.
„Zwar kann ich euch zu König Brandur bringen, doch weiß ich nicht, ob er imstande sein wird, euch anzuhören. Möglicherweise werdet ihr euch an Prinz Thorald wenden müssen.“
Chada sah ihn an, ihre tannengrünen Augen blinzelten überrascht.
„Weswegen sollte er dazu nicht imstande sein?“ fragte sie.
Thorn zögerte einen Moment, sollte er die beiden einweihen? Andererseits würde Chada als Botschafterin der Bewahrer ohnehin die Wahrheit herausfinden.
„Das Volk weiß noch nichts davon“, begann er, richtete seinen Blick wieder nach vorn und sprach in die Weiten des Rietlandes. „Doch schon vor einigen Mondzyklen haben seine Hoheit, Prinz Thorald und ich die Schwermut bemerkt, die von König Brandur Besitz ergriffen zu haben schien. Er war schweigsam geworden, hatte sich mehr und mehr zurückgezogen und eine Niedergeschlagenheit schien ihn zu umgeben wie ein grauer Nebelschleier, der am frühen Morgen Flüsse und Wiesen verschluckt.
Da es nicht ungewöhnlich ist, dass ein Mann dunklere Tage durchlebt, besonders wenn sich der Sommer dem Ende entgegen neigt und die Tage kürzer werden, dachten wir uns anfangs noch wenig dabei. Auch teilten Prinz Thorald und ich die Meinung, sein Rückzug aus den Regierungsgeschäften sei nur eine Erziehungsmaßname für den Prinzen, als Vorbereitung wenn er selbst König sein wird, doch was es auch ist, das den König bedrückt, es besserte sich nicht, ganz im Gegenteil. Ich habe den König stets voller Willenskraft und Entschlossenheit gekannt, doch seit einigen Tagen verlässt er kaum noch das Bett. Keiner unserer Heiler war imstande, ein Mittel oder auch nur eine Erklärung für den Zustand seiner Majestät zu finden und nun ist auch noch der Blutsturm aufgezogen, der unser gesamtes Augenmerk forderte, bevor wir und beraten konnten, wie wir weiter verfahren sollten.“
Thorn verstummte und blickte Chada erwartungsvoll an, doch auch sie schwieg für eine Weile.
„Ist der Prinz fähig, Entscheidungen im Namen seines Vaters zu treffen, von denen das Schicksal von ganz Andor abhängen könnte?“ fragte sie schließlich.
Ein Schmerzenslaut entfuhr Thorn, als er stolperte, beinahe stürzte und sich schmerzhaft den Fuß dabei vertrat. Einen Moment wollte er entrüstet aufbegehren, was dachte sich diese Chada, den Prinzen, des Königs Sohn infrage zu stellen? Doch Thorn zögerte, die zurechtweisenden Worte weigerten sich, seinen Mund verlassen zu wollen.
„Ich weiß es nicht.“ gestand er und schalt sich selbst im Stillen einen treulosen Wurm. Es wäre seine Pflicht zu Prinz Thorald zu stehen, doch die Wahrheit war, er vertraute der Weisheit des Königs weit mehr als der des Prinzen.
Er meinte, Chadas Blick förmlich spüren zu können, wandte sich zur Seite und tatsächlich schienen ihre Augen die seinen zu durchbohren. Schließlich nickte sie und wandte den Blick wieder ab.
„Du bist ein ehrlicher Mann, Thorn, das muss man dir lassen“, mischte sich Fennah hinter ihnen ein.
Sie klang überrascht und erheitert, als würde sie all das eher amüsieren.
„Ich hätte erwartet, für euch von der Burg sei auch der Prinz über jeden Zweifel erhaben.“
Thorns Kiefer mahlten. Er zog es vor, nun nicht weiter darauf einzugehen und so setzten sie ihren Weg schweigend fort.
Die Luft war noch immer schwül, heiß und erfüllt vom würzigen Duft des Rietgrases, bis sich schließlich der Geruch nach Menschen und ihrem Tagwerk, nach Metall und Holz, nach gutem Essen und schalem Bier und der beißende Geruch nach Schweiß und Abfall dazu mischte, der Geruch einer Stadt. Wenig später hatten sie auch die letzten Hütten außerhalb der Stadtmauern hinter sich gelassen und erreichten das hölzerne Burgtor. Thorn bemerkte, wie Chadas Blick an einem gewaltigen Holzstoß hängen blieb, der neben dem Tor errichtet worden war.
„Das Leuchtfeuer.“ beantwortete er die unausgesprochene Frage. „droht Gefahr für unser Volk im Rietland, wird es entzündet und ruft alle, ob Bauer, Fischer, oder Holzfäller in den Schutz der Burg.“
„Wie oft ist es bisher vorgekommen, dass das Feuer entzündet werden musste?“ fragte Chada.
„Nicht einmal.“ erklärte Thorn stolz. „Die Stadtwache hat bis zum heutigen Tage niemanden im Stich gelassen. Für die Menschen des Rietlandes sind wir die Stadtmauer, der Schutz, der Grund weshalb sie des nachts ruhig schlafen können.“
Sie passierten das Tor und betraten die Burg. Für Thorn war die Stadt alltäglich, sein Zuhause, ein Anblick den er schon hunderte male gesehen hatte, doch heute wirkte die Rietburg beinahe wie leergefegt. Bevölkerten sonst um diese Tageszeit Hunderte von Menschen die Straßen, Soldaten auf Patrouille, Handwerker und Kaufleute auf dem Weg nach Hause oder in die Burgschänke, war diesmal nur vereinzelt jemand auszumachen. Am Tag nach einem Blutsturm fand niemand die Zeit für einem Umtrunk nach getaner Arbeit.
Ohne Umwege führte Thorn Chada und Fennah nach rechts über eine enge Steintreppe hinauf auf den Wehrgang und weiter zum Ostturm, von dessen Spitze aus eine schmale Brücke hinüber zum Königsturm und zu König Brandurs Thronsaal führte. Sie erklommen die Stufen und traten ins Freie, anders als unten in den Ebenen, wehte hier oben ein leichter, angenehmer Wind vom Ozean herüber.
Thorn betrat die Brücke und wandte sich um, um nach Chada und Fennah zu sehen. Zu deutlich erinnerte er sich daran, wie er erstmals diese Brücke überquert hatte. Zitternd hatte er einen unsicheren Schritt vor den nächsten gesetzt, erfüllt von der Angst, die Brücke, die für ihn weit höher aussah, als sie in Wahrheit war, könnte jeden Augenblick zusammenbrechen und er in die Tiefe stürzen, doch entweder waren die beiden absolut schwindelfrei, oder sie vermochten ihre Furcht gut zu verbergen, denn keine von ihnen zögerte, ihm zu folgen.
„Die Brücke ist der kürzeste Weg zum Thronsaal.“ erklärte er als sie das Ende der Brücke erreichten. „So ersparen wir uns den langen Weg durch die Stadt.“
Mit beiden Händen stieß Thorn das schwere Eichenportal zum Thronsaal auf und kühle, staubige Luft schlug ihnen entgegen. Der Thronsaal war ein schmuckloser, langgezogener Raum mit nackten Steinwänden, an dessen Rückseite ein ebenso einfach gehaltener Thron aus Buchenholz stand. Die Darstellung von Reichtum durch Prunk und Schmuck sei der erste Schritt, um ein König zu werden, der sich selbst für wichtiger erachtet als sein Volk, hatte Brandur stets betont und Thorn konnte seinen König dafür nur bewundern.
Thorn wartete einen Augenblick, bis sich seine Augen an die Düsternis des fensterlosen Raumes gewöhnt hatten, denn anders als sonst erhellten heute keine Fackeln oder Kerzen den Saal. Er trat ein und erkannte, dass sich weder der König noch der Prinz im hier aufhielten, auch von den Königsgardisten Kon und Mairen war nichts zu sehen.
Thorns Herz begann schneller zu schlagen, wo war der Prinz? Welchen Grund konnte er haben, den Thronsaal verwaist zurückzulassen? Was war mit König Brandur?
„Zum Königsturm, dort liegen seine Gemächer.“ brachte er heraus. Seine Schritte waren steif und ungelenk als er den Raum durchquerte und Chada und Fennah durch die Tür neben dem Thron führte.
„Wartet hier.“ sagte er an Chada und Fennah gewandt als sie die Tür zu den Gemächern des Königs erreichten.
Er öffnete sie und im selben Augenblick zuckte er zurück. Ein saurer, fauliger Geruch nach Krankheit und Elend lag in der Luft, schwer wie Blei und erweckte in Thorn das Gefühl, am Krankenlager eines Todgeweihten zu stehen.
Vor ihm in der Tür stand Kon mit unergründlicher Mine. Er salutierte als er Thorn erkannte und trat beiseite um ihn einzulassen. Drinnen war der Geruch noch stärker, beinahe unerträglich als Thorn den Raum überblickte. Prinz Thorald saß neben König Brandurs Bett, hinter ihm stand Mairen und über den König gebeugt erkannte Thorn Jelnar von der Heilergilde.
Thorn trat näher und was er nun sah, ließ ihn erstarren. König Brandurs Gesicht war aschfahl und wirkte beinahe grünlich, seine Stirn glänzte und seine Augen schwammen in ihren Höhlen.
„Mein Prinz?“ sagte Thorn.
Thorald, der Brandurs Hand hielt, hob den Blick. „Thorn.“ sagte er mit heiserer Stimme. „Endlich. So habe ich ihn aufgefunden und gleich nach Jelnar geschickt. Er sagt er kann ihm etwas Kraft geben, doch da wir nicht wissen, was ihm fehlt, erkaufen wir dadurch nur etwas Zeit. Er schwindet.“
Thorn spürte, wie seine Knie weich wurden, es musste etwas geben, das sie tun konnten!
„Ich an eurer Stelle, würde nach Reka schicken.“ ertönte eine Stimme. Er wandte sich um und sah Fennah hinter ihm stehen, ihrem Umhang gegen die Nase gedrückt.
Thorald fuhr urplötzlich hoch. „Thorn!“ schrie er beinahe. „Du bringst Vagabunden in meine Burg? Hast du den Verstand verloren?“
Bevor Thorn etwas sagen konnte, war es Fennah, die reagierte. Sie war blass geworden, doch trat sie nun vor und blickte dem Prinzen in die Augen. „Vagabunden sagst du?“ ihre Stimme war eisig wie zuvor, als sie den Troll hatte töten wollen. „Doch offenbar eine Vagabundin, die mehr Verstand hat, als jeder andere hier, wenn keinem der Gedanke kommt, Reka um Hilfe zu bitten. Du nennst dich Prinz, doch verhältst du dich noch weit geringer als das, was du mich nennst.“
Sie kehrte ihnen den Rücken, schritt hinaus und schlug die Tür zu.
Aus den Augenwinkeln beobachtete Thorn den Prinzen, er blickte auf die geschlossene Tür und sein Atem ging nun schwer, als wäre er mehrere Wegstunden gerannt. Erneut ignorierte Thorn das Verlangen, etwas zu dem gerade geschehenen zu sagen. Eines Tages wird mir der Mund bluten, wenn ich mich weiterhin zwingen muss, selbigen geschlossen zu halten, dachte er wütend und wartete ab, bis Thorald sich etwas beruhigt zu haben schien.
„Das war Fennah.“ begann er schließlich. „Ihr und Chada vom Baum Der Lieder verdanke ich mein Leben, als mich ein Troll auf meinem Weg zur Burg überraschte. Chada ist als Botschafterin gekommen, mit Kunde und mit Warnung, so sagt sie. Auch wenn dein Platz gerade hier sein sollte, an deines Vaters Seite, musst du sie empfangen, mein Prinz“
Träge sah Thorald ihn an. Der junge Prinz wirkte müde und verzweifelt. Endlich öffnete er den Mund, doch auch seine Stimme klang erschöpft.
„Dann bring sie in den Thronsaal.“ sagte er. „Ich werde in Kürze hinunter kommen, doch diese Fennah geleite aus der Burg. Sollte ich sie je wieder innerhalb dieser Mauern antreffen, wirst du dafür gerade stehen müssen.“
Dieses mal wollte Thorn protestieren, doch Thorald gebot ihm mit einer Handbewegung zu schweigen.
„Ich werde nicht mehr dazu sagen.“ sagte er knapp.
Thron blieb ihm nichts anderes übrig, als Folge zu leisten. Er neigte den Kopf, salutierte und verließ die königlichen Gemächer.
Das Treffen mit Thorald war noch um einiges schlechter verlaufen, als er befürchtet hatte und ihm wurde wieder bewusst, wie wenig ihm der Gedanke behagte, Thorald eines Tages wahrhaftig auf dem Thron zu sehen. Der Prinz konnte arrogant, herablassend und aufbrausend sein, das war ihm gleich. Lieber diente er einem unausstehlichen, doch weisen König, als einem heiteren Dummkopf, doch Thorald zeigte zudem allzu oft einen derartigen Mangel an Weitsicht, innerer Stärke und Entscheidungsfähigkeit, dass Thorn fürchtete, er könne die schlechten Eigenschaften vereinen und sich zur denkbar schlechtesten Möglichkeit, einem unausstehlichen Dummkopf, entwickeln.

Thorn wies Chada an, im Thronsaal zu warten und anders als er erwartet hatte, nahm Fennah die Nachricht, sie solle die Burg verlassen, nicht nur gut auf, im Gegenteil, sie schien selbst erpicht darauf, diesen Ort schnellstmöglich wieder hinter sich zu lassen.
„Weißt du Thorn,“ sagte sie achselzuckend, als er sie aus dem Thronsaal hinaus und über die Brücke zurück begleitete. „Lange habe ich gedacht, meinem Leben würde etwas fehlen, allein, ohne Kontakt zu Anderen. Doch wenn noch mehr von euch Andori so sind wie euer Prinz, sehne ich mich doch sehr nach der Abgeschiedenheit des Waldes.“ und auch wenn Thron ihr wieder und wieder versicherte, es gäbe weit mehr Andori, deren Gesellschaft eine angenehme sei, als solche, die man lieber mied, war die Skepsis in Fennahs Blick nur allzu deutlich.
Da Fennah sich beharrlich weigerte, einfach ohne sich von Chada verabschiedet zu haben, heimzukehren, beschloss Thorn mit ihr vor dem Burgtor auf Chada zu warten. Ohnehin würde er entweder von ihr oder von Prinz Thorald erfahren, welche Gefahr sein Land bedrohte und wie sie damit umgehen würden.
Während sie warteten, schwiegen sie die meiste Zeit und Fennah ließ ihren Blick über das Treiben unten in den Ebenen schweifen. Thorn ertappte sich bei dem Gedanken, woher sich eine Novizin vom Baum Der Lieder und eine Einsiedlerin wohl kennen mochten, doch die beiden verband offenbar eine gewisse Freundschaft. Eine Freundschaft, die in seinem Leben gänzlich fehlte und diese Erkenntnis fühlte sich an wie ein Stich ins Herz. Gewiss, die die Menschen waren freundlich zu ihm und behandelten ihn mit dem Respekt, den man dem Wachhauptmann entgegen zu bringen hatte, doch für gewöhnlich blieb der Platz neben ihm in der Schänke frei. Niemand war sonderlich erpicht darauf, mit dem Mann, der ihm Befehle erteilte, zu trinken, zu würfeln oder Karten zu spielen.
Das Knarzen des Burgtores riss Thorn aus seinen Gedanken und auch Fennah hob den Blick. Chada trat heraus, ihre Augen suchten und fanden die beiden und sie kam zu ihnen herüber. Sie war nicht allein, Prinz Thorald war bei ihr und bedeutete Thorn zu ihm zu kommen.
„Die Lage ist ernst, Thorn.“ begann der Prinz als Thorn an ihn herangetreten war. „Ihr müsst sofort aufbrechen, Chada wird dir alles unterwegs erklären, doch wir werden die Stimme meines Vaters brauchen. Es mag mir nicht gefallen, doch Fennah hat möglicherweise recht. Die Hexe könnte die letzte Rettung für ihn sein, du musst sie finden und um Hilfe bitten. Ich bat Chada, uns zu helfen und sie willigte ein. Sie wird dich begleiten.“
Thorald wies in die Ferne, in die Richtung aus der man in dunklen Nächten die winzigen Lichtpunkte am Horizont erkennen konnte, die von den stets hell erleuchteten Fenstern der Taverne Zum Trunkenen Troll stammten.
Er fuhr fort: „Die Sonne wird bald untergehen, doch wenn ihr schnell reist, könnt ihr noch heute die Taverne erreichen. Beginnt dort mit eurer Suche, allerlei Leute kommen dorthin, vielleicht weiß jemand, wo ihr Reka finden könnt.“ Er hielt kurz inne und fasste Thorn an der Schulter.
„Ihr dürft nicht scheitern.“ schloss er, wandte sich um und betrat die Burg. Der dumpfe Schlag des sich schließenden Tores hallte wie ein Donnerschlag durch die Ebenen.
Obwohl sich Thorn nach diesem Tag müde und erschöpft hätte fühlen müssen und die Worte des Prinzen über die Lage ihn beunruhigten, spürte er eine unbändige Kraft und Leichtigkeit in sich aufsteigen. Endlich! Er war nicht länger dazu verdammt, untätig dem König beim Dahinsiechen zuzusehen! Er konnte etwas tun, er konnte helfen! Sogar ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, als er zu den beiden Frauen hinüber schritt und Chada ansah.
Ihre grünen Augen fanden die Seinen und entschlossen nickte sie.

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Re: Bird's Legenden von Andor - Kapitel IV

Beitragvon TroII » 14. Januar 2018, 15:50

Kompliment, die Geschichte ist mal wieder wirklich gut geworden. Ich habe sie bisher nicht kommentiert, da stets alles gesafgt wurde, aber dieses mal habe ich die Ehre, der erste zu sein, der ein Kapitel loben darf. ;) Aber ich bin sicher, dass es viele gibt, die die Geschichte lesen, ohne noch etwas dazu zu sagen.

Eine kleine Anmerkung noch: In der Kapitelüberschrift steht fälschlicherweise Kapitel VI anstatt Kapitel IV, was mich kurz etwas verwirrt hat. Da das Thema richtig benannt ist und auch in der Übersicht unter richtigem Namen auftaucht, ist es allerdings nicht weiter schlimm.
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