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Bird's Legenden von Andor - Kapitel I

Bird's Legenden von Andor - Kapitel I

Beitragvon Bird » 3. Oktober 2017, 09:38

Verehrte Gäste und Zuhörer,
zu viel des Lobes für den Auftakt meiner Erzählkunst. Es bleibt zu hoffen, dass ich niemanden mit den Fortführungen enttäusche.

Kapitel I – fünfundzwanzig Sonnenzyklen

75 Jahre ist es her, dass Brandur und seine Gruppe ihre neue Heimat erreichten. Jenes Land, das früher als Drachenland bekannt war und nun so vielen ehemaligen Sklaven ein Leben in Freiheit gewährte. Für die, die zusammen mit Reka und Brandur geflüchtet waren und die gesehen hatten, was sich zwischen Brandur und dem Drachen abgespielt hatte, stand die Antwort auf die Frage nach einem Anführer zweifelsfrei fest. So wurde Brandur zum König bestimmt. In den weiten Wiesen des Rietlandes im Nordwesten des Landes wurde die einzige größere Stadt und zugleich Sitz von König Brandur errichtet: Die Rietburg und von hier aus lenkte er die Geschicke ihrer neuen Heimat.
Sie hatten dem Land den Namen Andor gegeben, Das Neue Land, als Zeichen für ihren Neuanfang. In den grasbewachsenen Ebenen des Rietlandes waren einige Gehöfte entstanden, im südlichen Wald hatten sich Forstwirte und Holzfäller angesiedelt und in den Flusslanden an den Ufern der Narne waren Fischerhütten und Mühlen errichtet worden.
Im Norden des Landes von der Narne bis zur Küste des nördlichen Meeres, lag der Wachsame Wald, ein riesiger, dichter, grüner Wald und Heimat der Bewahrer und Hüter vom Baum Der Lieder. Die Bewahrer waren ein Volk, das seit Generationen Geschichten, Legenden und Wissen aller Länder sammelte und archivierte. Sie waren durch ihr Wissen und den Handel mit den Andori wertvolle Verbündete geworden und vor allem König Brandur pflegte freundschaftliche Kontakte zu Meister Melkart, dem obersten der Bewahrer.

Weit im Südosten jedoch, am Fuß des Grauen Gebirges, das Brandur und seine Leute einst durchquert hatten, lag der Eingang nach Cavern. Diese Mine war das größte der verbliebenen Zwergenreiche und hier lebte das mächtigste aller Zwergenvölker, die Schildzwerge.
Die verzweigten Gänge und Tunnel, die weitläufigen Hallen und geheimen Kammern Caverns durchzogen die nord – östlichen Ausläufer des Gebirges. Tief in den Berg hinein erstreckte sich das Reich, das ihre Vorfahren errichtet hatten. Das Herzstück Caverns bildete die Halle Der Vier Schilde, eine riesige, genau einhundert Schritt in Länge und Breite umfassende Halle und einer Höhe von dreißig Schritt. Das Licht unzähliger Feuerschalen erhellte den Raum und gewaltige Statuen aller früheren Zwergenherrscher waren an den Wänden errichtet worden, denn es war Tradition, dass der erste Befehl eines neuen Fürsten die Fertigung eines steinernen Abbilds seines Vorgängers war, auf dass dessen Weisheit und Erfahrung auf ihn übergehe.
Dies war der Erste Thronsaal Fürst Hallgards, des Oberhauptes der Schildzwerge und damit Erster des des Zwergenrates, der ebenfalls hier tagte. Nahe des südlichen Eingangs, neben der Eingangshalle, die mit ihrer Größe, den riesigen Stalaktiten und fein gearbeiteten Bodenverzierungen stolz jeden empfing, der die Mine von Süden her betrat, lag Fürst Hallgards Zweiter Thronsaal, der Audienzsaal. Besuchern, Botschaftern oder Bittstellern wurde meist der Zugang nach Cavern verwehrt, dieser war den Zwergen vorbehalten, doch konnten sie den Fürsten, bewacht von seiner Leibwache, den Steinfäusten, im Audienzsaal um eine Unterredung bitten.

Lange Zeit war der Weg durch die Eingangshalle die sicherste Verbindung zwischen den beiden Thronsälen und damit zwischen dem nördlichen und dem südlichen Zugang nach Cavern, doch vor einigen Jahren hatte sich das geändert.
Ohne ersichtlichen Grund war Wasser aus dem Boden und den Wänden der Eingangshalle hervorgequollen. Kein Quellwasser, nein, dieses Wasser hatte eine grünliche Farbe, war salzig und ungenießbar. Weder die Gelehrten noch die Baumeister der Zwerge waren in der Lage gewesen herauszufinden woher das Wasser kam oder wie man es aufhalten konnte. Alle Versuche die Wände und den Boden abzudichten oder das Wasser abzupumpen waren gescheitert und so war die Halle unaufhaltsam voll gelaufen.
Sie war nun einem großen, tiefen, grünlichen See gewichen, den die Bewohner Caverns nur den Geheimen See nannten. Und das war nicht alles, was die Zwerge davon abhielt, diesen Weg zu wählen, abgesehen von der Tatsache, dass die meisten unter ihnen nicht schwimmen konnten. Zwar gab es am Rand des Sees einen schmalen Weg, einen ehemaligen Wehrgang, der nur etwa knietief mit Wasser bedeckt war, sodass es möglich gewesen wäre, die einstige Halle zumindest zu durchqueren, doch inzwischen wagte es kaum jemand.
Erst hatte es nur Gerüchte gegeben. Gerüchte, irgendetwas triebe im Geheimen See sein Unwesen. Gerüchte, denen anfangs kaum jemand Glauben schenkte. Bis die ersten Zwerge, die den Weg über den alten Wehrgang hatten nehmen wollen, spurlos verschwanden.
Der Suchtrupp, der herausfinden sollte, was mit den Vermissten geschehen war, wurde von Fürst Hallwort, dem damaligen Oberhaupt von Cavern und Vater von Hallgard persönlich angeführt. Gerade hatten sie die Hälfte des Weges hinter sich, als plötzlich ein riesiger Tentakelarm aus dem trüben, grünen Wasser hervorstieß, Ranok, einen der Steinfäuste umklammerte und hätten die Anderen ihn nicht sofort gepackt und festgehalten, hätte der Arm ihn in das kalte, grünliche Wasser und in den sicheren Tod gerissen. Hallwort hatte den Tentakel mit seiner Axt zwar durchtrennen und so Ranok befreien können, doch im nächsten Moment waren weitere schleimige, muskulöse Arme aus dem Wasser hervorgeschossen und waren wie riesige Peitschenhiebe auf den Trupp nieder gegangen.
Den Zwergen blieb keine andere Möglichkeit als den Rückzug anzutreten, doch noch während sie rannten, konnten sie erkennen, was sie angegriffen hatte. Für einen kurzen Augenblick war der monströse Kopf eines Kraken aus dem Wasser aufgetaucht. Messerscharfe Zacken zogen sich von der Stirn bis zum Nacken wie Dolche über den riesigen, grünen, blasenförmigen Kopf. Augen, groß wie Wagenräder saßen in dunklen Höhlen, die von dicken, wulstigen, augenbrauenähnlichen Bögen umschlossen wurden, und der Schlund wäre sogar groß genug gewesen, um einen Troll verschlingen zu können. Während die Zwerge flohen, schlug das Geschöpf mit seinen Tentakeln weiter auf sie ein, jeder einzelne dick wie ein Baumstamm.
Irlok wurde diese Kreatur seitdem genannt, Der, Der Nicht Sein Darf in der alten Sprache der Zwerge, denn niemand konnte sich erklären, wie das Wesen seinen Weg in die Halle gefunden haben könnte. Keine Tunnel oder Gänge führten von unterhalb in die Halle, es hatte den Anschein, als wäre Irlok einfach aus dem Nichts erschienen.
Von nun an war der einzige noch begehbare Weg die alte Hängebrücke über den Abgrund von Barathrum und dies war nicht nur ein Umweg von mehreren Stunden, auch konnten wegen der geringen Tragfähigkeit der Brücke kaum noch Waren durch Cavern transportiert werden.
Viele Baumeister hatten seitdem versucht von Osten her einen neuen Gang zu erbauen, doch keinem war es bisher gelungen, einen Gang zu errichten, der nicht eingestürzt war, denn der Fels war hier an vielen Stellen trügerisch. Festes Gestein wurde unterbrochen von natürlichen, teils mit Wasser gefüllten Höhlen und lockeren Sandschichten.
Eines Tages war Kram, ein bekannter Baumeister, der sich auch für die Errichtung des Tiefen Marktes verantwortlich zeigte, vor den Zwergenrat getreten. „Erster des Rates, Hoher Rat, der Stein spricht zu allen meiner Zunft und lässt uns gewähren wo wir gewähren dürfen. Versuchen wir allerdings dem Fels unseren Willen aufzuzwingen, wird dieser sich wehren und unser Vorhaben kann nicht gelingen, darum ist es bisher keinem gelungen, den neuen Gang fertig zu stellen. Ich aber habe die letzten 10 Mondzyklen in den eingestürzten Stollen verbracht. Ich habe das Gestein studiert, seinem Flüstern gelauscht, seinen Verlauf gespürt. Ich bin überzeugt dass ich mit meinen Leuten in der Lage bin, den Tunnel zu graben.“
Kram war für einen Zwerg eher groß und kräftig, mit blondem, fast gelbem Haar und Bart. „Wir wissen um deine Fähigkeiten, Baumeister Kram.“ erwiderte Fürst Hallgard. „Wir wissen allerdings auch, dass Bait, die Frau, mit der du den Großen Bund eingegangen bist, ein Kind unter ihrem Herzen trägt. Bist du dir sicher, dass du gerade jetzt eine solche Aufgabe übernehmen solltest, wo doch deine Pflichten zuerst bei ihr liegen sollten?“
Das hatte Kram befürchtet. Das Gelöbnis des Großen Bundes war eindeutig: Treue, Liebe, Unterstützung, Achtung. Und da Schwangerschaften bei den Zwergen recht selten vorkamen, standen die Frauen unter besonderem Schutz. Doch Kram war vorbereitet. „Mein Fürst, Hoher Rat, Bait ist das Feuer meines Herzens. Nie würde ich es wagen sie zu vernachlässigen, gerade jetzt, da sie unser Kind gebären wird, doch war gerade sie es, die mich drängte, bald mit meinem Anliegen vor den Rat zu treten. Jetzt kann ich dich noch entbehren, waren ihre Worte. Sie wird das Kind noch 15 Mondzyklen austragen, wenn wir bald anfangen können, werden wir den Tunnel vor ihrer Niederkunft abgeschlossen haben, der schwierigste Teil ist dann geschafft und ein Anderer kann den Bau des Gangs beenden. Dann werde ich mit der Belohnung, die du für den Bau versprachst, mein Fürst, auch in der Lage sein, für meine Familie zu sorgen.“ Bei diesen Worten meinte Kram den Anflug eines Nickens bei Fürst Hallgard zu bemerken. Das war die Gelegenheit auf die er gewartet hatte, er blickte Hallgard in die Augen und sagte: „Ich vertraue auf die Weisheit der Alten.“ Traditionell bat der Bittsteller mit diesen Worten um die Entscheidung des Rates. Der Fürst schien einen Moment nachzudenken „Möge sie uns leiten.“ antwortete er und stimmte damit einer Entscheidung zu. Kram verneigte sich einmal tief vor dem Ersten, dann einmal weniger tief nach links und nach rechts, bevor er sich umwandte und die Halle verließ.
Die Menschen an der Oberfläche zählten die Tage in Sonnenhäusern, die Sonne wanderte sieben Häuser lang über den Himmel bis sie unterging, dann kamen die drei Mondhäuser der Nacht. Hier, tief unten in Cavern war die Sonne nicht geeignet um die Zeit zu messen, deshalb waren große Schalen errichtet worden, von denen jede in der Zeit eines Sonnenhauses voll Wasser lief, bis sich die nächste füllte. So hatten die Zwerge angefangen, den Tag in Schalen zu zählen, mit den Menschen hatten sie sich aber auf den Begriff Stunden verständigt, der von allen verstanden wurde.
Er musste nicht einmal ein Viertel einer Schale warten, bis die kleine Laterne über dem Eingang zur Halle aufflammte. Der Erste des Rates goss ein wenig Öl in ein kleines Rohr, das oberhalb der Laterne endete, sodass das Öl in die Glut tropfte, die dort schwelte und so die Lampe entzündete. Damit zeigte der Rat dem Wartenden, dass er sein Urteil gefällt hatte. Der Rat war sich anscheinend einig gewesen, wenn sie so schnell zu einer Entscheidung gelangt waren. Kram war sich nicht sicher, ob er dies als ein gutes oder ein schlechtes Zeichen werten sollte, trotzdem atmete er tief durch und betrat die Halle.
Schon lange hatte er keinen Bau mehr beaufsichtigt, der Tiefe Markt war, von ein paar kleinen Tunneln und Behausungen abgesehen, sein letzter Auftrag gewesen. Das planen, berechnen und graben fehlte ihm, fast war ihm, als würde das Gestein nach ihm rufen. Dafür war er gemacht, er musste den Auftrag bekommen!
Kram trat wieder in das Trimien, die bronzene, dreieckige Markierung im Boden vor dem Rat. Er stand nun vor dem Thron Fürst Hallgards und den übrigen acht Zwergen des Rates, die halbkreisförmig rechts und links des Fürsten in hohen Lehnstühlen saßen.
Sein Herz pochte so laut, dass er sich sicher war, es würde in dieser riesigen Halle widerhallen und den Eindruck erwecken, nicht einer, sondern einhundert Krams stünden hier und zitterten vor der Entscheidung des Rates.
Dann sah er wie das, von fein säuberlich gepflegtem, graubraunem Bart eingerahmte Gesicht des Fürsten sich zu einem leichten Lächeln verzog. „Kram, du hast mir vor Jahren als Steinfaust und auch später als Baumeister gute Dienste geleistet. Daher freue ich mich, dich ein weiteres Mal in den Diensten des Rates begrüßen zu dürfen“ , sprach Hallgard und sein Lächeln wurde bei diesen Worten breiter.
Bei diesen Worten fühlte sich Kram, als würde ein Gewicht, schwerer als das ganze Gebirge, von ihm abfallen. Wilde Freude durchströmte ihn, seine stahlgrauen Augen leuchteten auf und seine Brust schien anzuschwellen. „Eure Zeit ist allerdings begrenzt bis zur Niederkunft deiner Gefährtin.“ fuhr Fürst Hallgard fort. „Wie es auch dein Vorschlag war, Kram, wird danach ein anderer Baumeister den Bau fertig stellen. Eure Aufgabe ist der Rohbau und was immer euch in dieser Zeit noch möglich ist.“ Das war Kram nur recht, der Ausbau reizte ihn längst nicht so sehr wie die Aussicht darauf, als einziger Baumeister in ganz Cavern diesen Gang ermöglicht zu haben.
Er neigte respektvoll den Kopf. „Erster des Rates, Hoher Rat, ich danke euch für euer Vertrauen in meine Arbeiter, in mich und unsere Fähigkeiten. Mein Fürst, wann sollen wir beginnen?“ fragte er. „Sobald es euch möglich ist. Du sagst du kennst den Stein bereits, was deine Planung verkürzen sollte. Wir erwarten, dass deine Vorbereitungen noch vor Ende dieses Mondzyklus abgeschlossen sind und ihr mit dem Bau beginnen könnt.“ Fürst Hallgards Stimme war freundlich, doch zugleich klar, fest und bestimmt. „Die Belohnung, die ich versprochen habe für den, der diesen Gang erbauen kann, zwei von drei Teilen sollen du und deine Arbeiter für den Rohbau erhalten, ein Teil wird an deinen Nachfolger gehen. Das ist immer noch mehr als genug, damit deine Familie ein Leben in Wohlstand führen kann und um deinen Arbeitstrupp für einen ganzen Sonnenzyklus auszubezahlen“, fügte der Fürst hinzu. Auch das fand Kram nur gerecht, er nickte. „Ich akzeptiere die Bedingungen“, sagte er. „Dann ist es beschlossen“, hallte die Stimme des Ersten durch die Halle. „Du, Baumeister Kram erhältst den Auftrag, den Gang von der Halle Der Vier Schilde zum Audienzsaal zu erbauen. Möge unser Volk beständig sein wie der Fels!“
„Und unsere Herzen rein wie die Flamme“, erwiderte Kram die Verabschiedung, verneigte sich erneut dreimal, trat rückwärts aus dem Trimien, wandte sich um und verließ die Halle.
Kram hatte sich schon lange nicht mehr so leicht und beschwingt gefühlt wie jetzt, als er sich auf den Weg zurück zu Baits und seiner Behausung machte, einer geräumigen, gemütlich eingerichteten Höhle, die er selbst mit seinem Arbeitern aus dem Stein geschlagen hatte. Er konnte es kaum erwarten, Bait von dem Urteil des Rates zu berichten. Morgen würde er mit den Planungen und Vorbereitungen beginnen, seinen Arbeitstrupp zusammenstellen, Werkzeuge überprüfen und Skizzen anfertigen, aber heute... heute würden sie ein Fest geben, um seinen Auftrag gebührend zu feiern.

„Haltet euch ran, Männer! Wir sind etwas hinter dem Zeitplan zurück, bis zur Tagesmarkierung sind es noch gut fünf Schritt!“ rief Kram seinen Arbeitern im Tunnel zu. Fünf dieser hartgesottenen, furchtlosen Zwerge, die sie Schürfer nannten, steckten bäuchlings im Rohbau des Tunnels, so dass nur noch ihre Füße zu sehen waren und gruben, schlugen und meißelten sich nach seinen Berechnungen durch den Fels.
Als er vor fast vier Mondzyklen vor den Rat getreten war, hatte Kram sehr zuversichtlich, fast schon überheblich gewirkt, nun musste er sich eingestehen, dass er sich vielleicht doch etwas überschätzt hatte. Die Vorbereitungen waren schnell abgeschlossen gewesen und sie hatten sogar etwas früher mit dem Bau beginnen können, doch die Arbeit ging nur langsam voran. Viel mehr Unregelmäßigkeiten als er erwartet hatte, verbargen sich in diesem Teil des Gebirges und ein paar mal schon war der Gang fast eingebrochen. Einmal sogar konnte er seine Schürfer gerade noch rechtzeitig zurückrufen, bevor ein Teil der Tunneldecke herabgestürzt war und sie unter Stein und Geröll begraben hätte. Und doch waren sie bisher weiter gekommen als jeder andere vor ihnen und das gab ihnen eine Art grimmiger Befriedigung und machte ihnen Mut, weiter zu graben.

In diesem Moment war aus dem Schacht das Poltern von herabfallendem Gestein zu vernehmen, gefolgt von einem lauten Fluchen. Gleich darauf schob sich Tars, der Erfahrenste aus Kram Schürftrupp rückwärts aus dem Schacht. „Das war knapp!“ knurrte er und richtete sich vor
Kram auf. „Da drinnen ist noch ein Hohlraum, der auf deiner Skizze nicht eingezeichnet war. Wir hatten Glück und er war nur klein, aber ein paar Steine sind trotzdem runter gekommen. Barakas hat einen der Kleineren abbekommen. Bevor du fragst, es geht ihm gut, um seinem Granitschädel schaden zu können, war der Stein bei weitem zu klein und zu leicht, trotzdem...“ Tars beendete den Satz nicht, doch Kram verstand sofort und Tars hatte unbestreitbar recht, als Baumeister war er für seinen Trupp verantwortlich. Kram steckte den Kopf in den Schacht und rief: „Macht das ihr da raus kommt! Nehmt euch ein Bier und macht Pause, ich muss mir das selbst ansehen!“ „Jawohl, Baumeister!“, ertönte die vierstimmige Bestätigung und einer nach dem anderen kam aus dem Tunnel gekrochen. Nachdem sich Barakas als Letzter unter der niedrigen Decke hindurch geduckt hatte und Kram sich vergewissert hatte, dass er wohlauf war, zog Kram den Kopf ein, legte sich auf den Bauch und zog sich in den Stollen hinein.
Drinnen war es stockdunkel und Kram konnte nur im Licht seiner Laterne erkennen, dass Tars recht gehabt hatte, dieser Hohlraum war in seinen Berechnungen nicht aufgetaucht, nur warum vermochte Kram nicht zu sagen. Hatte er etwas übersehen? War er etwa im Geiste abwesend gewesen? In letzter Zeit waren seine Gedanken immer öfter zu Bait und ihrem ungeborenem Kind gewandert, doch das konnte er sich hier nicht leisten.
Kram streckte sich und fuhr die Linien im Gestein nach, tastete den Hohlraum ab und klopfte die Wände mit einem kleinen Hammer ab. Nach einer Weile nickte er zufrieden und zog sich rückwärts wieder aus dem engen Schacht heraus.
„Tars, du hattest recht.“ sagte er während er langsam aufstand. „Dieser Hohlraum war so klein, dass er kaum zu berechnen war, doch die nächsten drei bis vier Ellen ist der Fels so stark und fest, dass wir nicht einmal zusätzliche Stützen brauchen. Für drei Ellen könnt ihr weiter machen, dann lasst mich wieder nachsehen.“ Tars nickte und er und die anderen Schürfer krochen zurück in die Dunkelheit.
Kram dachte einen Moment nach und winkte dann seinen zweiten Trupp Schürfer heran. Sein erster Trupp war dafür zuständig, einen stabilen Stollen zu graben, den der zweite Trupp dann zu einem hohen, breiten Tunnel erweiterte. „Wir haben bereits viel Zeit verloren und werden wahrscheinlich weitere verlieren. Wollen wir das ausgleichen, werden wir die Erweiterung des Stollens zur gleichen Zeit vornehmen müssen. An dieser Stelle ist der Stein gut und fest, hier werdet ihr keine Schwierigkeiten haben. Arbeitet langsam und vorsichtig, lasst die Statuere alles abstützen und teilt es mir mit, wenn ihr euch nicht sicher seid. Tars, Maku, Barakas, Garam und Hortak sind darauf angewiesen, dass uns hier draußen kein Fehler unterläuft, wollen wir sie nicht lebendig begraben.“ erklärte Kram seinen Arbeitern.
„Jawohl, Baumeister!“ antwortete der Trupp einstimmig und schon begannen die Zwerge damit, Werkzeuge vorzubereiten, Geröll zu entfernen und den Tunnel, der bislang von nur von etwa einem Schritt Höhe und Breite war, zu vergrößern, schließlich sollten eines Tages auch schwere Wagen hier entlang fahren können.
Für einen Moment beobachtet Kram das Treiben, dann zog er Ingurt, den Ältesten der Stateure, die für das Abstützen der Tunneldecke zuständig waren, ein wenig abseits. „Du und deine Leute, ihr müsst nun verstärkt auf die Stabilität der Decke achten, sichert alles doppelt ab wenn es sein muss. Wäre die Zeit nicht so knapp, würde ich nicht beide Trupps zeitgleich arbeiten lassen, aber...“
Zu seiner Überraschung grinste Ingurt und schlug ihm hart auf die Schulter. „Du hast noch nie eine Entscheidung getroffen, Kram, die auch nur einen von uns in Gefahr gebracht hätte.“ knurrte er mit einer Stimme, die vom Staub, dem er jahrzehntelang ausgesetzt gewesen war, klang, als rieben zwei Steinbrocken aneinander. „Jeder Einzelne hier würde am liebsten dich in der Dunkelheit hinter sich wissen. Nun verlass du dich auch auf uns.“
Kram nickte Ingurt dankbar zu und wollte sich gerade wieder nach vorne zum Ende des Stollens aufmachen, als ein junger Schürfer ihn aufhielt. „Verzeih Baumeister, vielleicht kannst du dir das ansehen?“ Kram blickte den jungen Zwerg an, er war kaum älter als dreißig Sonnenzyklen und tat zum ersten Mal unter Kram Dienst. Er war Tars' Sohn, der sich auch für ihn ausgesprochen hatte, unerfahren, aber tüchtig und wissbegierig, hatte er ihn beschrieben. Wie war nur sein Name gewesen? Nort? Nars? Nart? Namen fielen ihm manchmal schwer, also sagte er nur: „Sicher, was beschäftigt dich?“ Der junger Zwerg zögerte, als ob er sich nicht sicher wäre, ob sein Anliegen die Zeit des Baumeisters tatsächlich wert wäre, also half Kram etwas nach: „Nur raus damit, keine falsche Scheu.“ , versuchte er ihn zu ermutigen, er selbst war in jungen Jahren schließlich auch nicht anders gewesen. Der Schürfer nickte, holte tief Luft, trotzdem klang er unsicher als er sprach. „Wahrscheinlich ist es nichts, aber ich habe gerade hier vorne den Granit abgetragen,“ er deutete auf die Stelle, „da habe ich bemerkt, dass nun feiner Sand herausläuft und nicht versiegen will, als hätte ich den Korken aus einem Fass gezogen.“ Sofort wurde Kram hellhörig, er sprang mit einem Satz zu der Stelle, zu der der junge Zwerg gedeutet hatte.Der Sand hatte bereits einen Hügel auf dem Boden gebildet und rann immer schneller aus dem Fels.
Kram fühlte sich plötzlich als hätte ihm jemand einen schweren Kriegshammer auf den Kopf geschlagen, sein Herz schien einen Schlag auszusetzen und seine Knie gaben beinahe nach. „Alle sofort raus!“ rief er, als auch schon ein dumpfes Grollen den Tunnel erschütterte. „Der Gang wird gleich einstürzen! Schnell zurück zum letzten Knotenpunkt!“ Der Fels um sie herum schien zu erzittern und Staub rieselte von der Decke, dennoch setzten sich die Zwerge schnell, aber geordnet in Bewegung, sie alle wussten, dass nun keine Panik ausbrechen durfte. Kram blieb zurück und zählte alle, die er den Tunnel verlassen sah. Zwölf, dreizehn, zählte er, vierzehn, fünfzehn... alarmiert blickte er sich um, fünf Zwerge fehlten!
Kram wandte sich um und rannte tiefer in den Tunnel hinein, als schon die ersten Felsbrocken herabstürzten und seinen Helm und seine Schultern trafen. „Tars!“ rief er, er wusste wer noch nicht in Sicherheit war, die Schürfer des ersten Trupps, die erst aus dem Stollen klettern mussten. „Garam! Hortak! Barakas! Maku!“ In diesem Moment sah er sie, alle fünf kamen ihm mit eingezogenen Köpfen den Gang entlang entgegen gelaufen. Tars und Hortak schienen Maku halb hinter sich her zu ziehen. Kram atmete auf, drehte sich erneut und lief nun vor ihnen her.
Plötzlich hörte Kram hinter sich einen lauten Schmerzensschrei, gleichzeitig spürte er einen harten Schlag in den Rücken und wurde nach vorne geworfen.
Im nächsten Moment lag Kram bäuchlings auf dem Boden und die Erde schien zu beben, er konnte nichts sehen, die Welt um ihn herum war in Staubschwaden versunken, er bekam kaum Luft, Staub drang in seine Lunge, er hustete, doch nicht einmal sein eigenes Husten konnte er hören. Ein Dröhnen erfüllte den Tunnel, so laut, dass Kram sich sicher war, seine Ohren müssten bluten. Ein scharfer Schmerz schoss durch sein rechtes Bein und er konnte es nicht mehr bewegen, er war eingeklemmt! Dennoch versuchte er sich herum zu werfen um nach den Anderen zu sehen. Ein weiterer Gesteinsbrocken traf ihn an der Stirn, sodass sein Kopf nach hinten geschleudert wurde und er für einen Augenblick nur Sterne sah.
Er fuhr erneut hoch, nur um sofort wieder getroffen zu werden, ihm blieb nichts anderes übrig, als den Kopf mit den Armen zu bedecken und sich so klein er konnte zusammen zu rollen. Er konnte nicht klar denken, nur Baits Gesicht tauchte immer wieder in seinem Geist auf.
Dann war es vorbei, so zusammengekauert kam es ihm vor als wären Stunden vergangen, auch wenn das Dröhnen und Beben kaum einen Strich einer Schale gedauert hatte. Vorsichtig setzte Kram sich auf, seine Gedanken schienen zu schwimmen, er versuchte sie zu ordnen, plötzlich schossen die Erinnerungen durch seinen Kopf wie ein Blitzeinschlag.
Er fuhr hoch, warf sich herum und wischte sich den Staub aus den Augen. Was er jetzt sah, traf ihn härter als der Steinschlag selbst: Der Gang und mit ihm sein Trupp war verschwunden, bis zur Tunneldecke war Geröll aufgetürmt, das bis dorthin reichte, wo er lag und sein rechtes Bein gefangen hielt.
Die Luft wich aus seinen Lungen und er kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit an, als er eine Hand aus dem Geröll herausragen sah. Die kräftigen Finger, die goldenen Ringe an Daumen und kleinem Finger... das war Garams Hand, er war direkt hinter Kram gelaufen und nun wurde ihm bewusst, dass der erste Schlag, den er im Rücken gespürt hatte, der ihn nach vorne geworfen hatte, von Garams Hand gekommen sein musste.
Hatte er verzweifelt versucht, sich an ihm festzuhalten, oder hatte er ihn nach vorne geschoben und damit das Leben gerettet? Schon hörte er die Rufe der anderen Zwerge, die zurückgelaufen kamen, um zu sehen, ob noch jemand am Leben war. Kram holte Luft, so tief er konnte, ohne vom Staub zu husten und stieß einen lauten Schrei aus. „Hilfe!“ keuchte er. „Holt Hilfe! So viele ihr finden könnt! Wir müssen sie da raus holen! Und die Runenheiler! Wir brauchen die Runenheiler!“
Irgendetwas wurde gerufen, doch Kram verstand kein Wort, es war unerheblich. Er kroch zu Garams Hand und packte sie, hielt sie fest und drückte sie. Garams Finger umklammerten plötzlich die Seinen, er war noch am Leben!
„Hilfe! Schnell! Beeilt euch!“ schrie Kram noch einmal. Langsam wurde Garams Griff schwächer. „Nein, nein, nein, bleib bei mir. Lass nicht los...“ murmelte Kram verzweifelt. „Macht schon! Schneller!“ brüllte er erneut. Noch immer hielt er Garams Hand so fest er konnte, bis er bemerkte, dass dieser seinen Griff nicht mehr erwiderte, Garams Hand war erschafft. „Nein!“ schrie er. „Neeein!“
Erst jetzt wurde ihm der Schmerz bewusst, als hätte dieser bis jetzt gewartet, um ihn dafür mit noch größerer Wucht zu treffen. Sein Kopf dröhnte, das Atmen bereitete ihm höllische Schmerzen, sodass er sich sicher war, mehrere Rippen seien gebrochen und sein eingeklemmtes Bein pochte unerträglich. Doch auch dieser Schmerz war nichts im Vergleich zu dem, der in Krams Herz tobte. Er hatte versagt, hatte durch seine Unachtsamkeit einen ganzen Trupp verloren. Zwerge, die ihm ihr Leben anvertraut hatten, hatte er in den Tod geschickt. Zwerge, die er seit Jahren kannte und Freunde nannte, waren seinetwegen gestorben. Familien, deren Gründung er vom Versprechen des Großen Bundes bis zur Selbstständigkeit der Kinder begleitet hatte, hatte er zerrissen. All diese Erkenntnisse trafen ihn, gleich einer Flutwelle die ihn zu ertränken drohte. Garams leblose Hand entglitt seinem Griff und er fiel, unfähig sich zu bewegen, zurück auf den harten Steinboden.
Nur verschwommen nahm er die Zwerge war, die den Ort seines Versagens erreichten, auch ein Runenheiler war unter ihnen, und wenn er es richtig verstand, was seine Kameraden riefen, waren drei weiter auf dem Weg. Ein verzweifelter Hoffnungsschimmer durchzuckte Krams Gedanken, vielleicht war noch nicht alles zu spät für Garam und Tars, für Maku, für Barakas und Hortak, vielleicht... dann umfing ihn Dunkelheit.

Kram war allein, er sah sich um, so allein... alles war dunkel um ihn herum. Er entdeckte ein Licht und lief darauf zu. Es war Bait, er erkannte sie als näher kam, sie hatte die Hände auf ihren Bauch gelegt und schien zu leuchten. Er wollte sie in den Arm nehmen, doch sie wich zurück. „Deine Schuld!“ ihre Stimme hallte wieder und sie klang ganz anders als er sie kannte. Plötzlich stand da Tars. „Deine Schuld!“ rief auch seine Stimme und Kram zuckte zurück. „Deine Schuld!“ ertönte es nun auch hinter ihm, er fuhr herum, dort standen Garam und Maku. „Deine Schuld!“ rechts von ihm stand Hortak, links von ihm Barakas. Kram sah zu Bait, sie stand da und versank langsam in Boden. „Bait!“ wollte er schreien, doch kein Laut kam über seine Lippen. Er versuchte zu ihr zu gelangen, doch Tars, Garam, Maku, Hortak und Barakas zogen ihren Kreis enger um ihn. „Deine Schuld! Deine Schuld! Deine Schuld!“ intonierten sie. Sie kamen immer näher, packten ihn hielten ihn fest während er zusehen musste, wie Bait, die Hände immer noch schützend auf ihren Bauch gelegt, im Boden verschwand.

Kram schlug die Augen auf. Er war schweißgebadet und atmete schwer, was wieder Wellen von Schmerz durch seinen Körper jagte. Er musste im Hospitaltrakt sein. Er sah sich um und erblickte Bait, die ihn unendlich traurig ansah. „Garam?“ flüsterte Kram. „Maku? Barakas? Hortak? Tars?“ Baits legte ihre Hand auf seinen Arm, sie blickte ihm in die Augen und schüttelte stumm den Kopf. Kram konnte nicht anders, er begann haltlos zu schluchzen.
Die Fesseln, mit denen er an sein Lager gekettet war, bemerkte er gar nicht.

„Die Verhandlung ist eröffnet!“ rief Fürst Hallgart und schlug mit dem Griff seiner doppelschneidigen Streitaxt auf den Marmorboden, sowohl seine Stimme, als auch der Schlag hallten von den Wänden wieder. „Kram, tritt vor.“ Kram versuchte sein rechtes Bein zu belasten, und wäre er beinahe gestürzt, als es plötzlich nachgab und ein heißer Schmerz durch seinen Knöchel schoss. Dennoch tat er die drei Schritte, bis er im Trimien stand und ließ den Kopf hängen. „Du bist beschuldigt, durch dein leichtfertiges, unüberlegtes Verhalten während des Tunnelbaus den Tod der Schürfer Tars, Garam, Maku, Barakas und Hortak verschuldet zu haben. Wie bekennst du dich?“
So fühlten sich also Wendepunkte im Leben an, dachte Kram bitter. Die Anhörung war eine reine Formsache, das war allen klar, doch selbst wenn Kram einen Weg gesehen hätte, der Strafe zu entgehen, er fühlte sich so schuldig, dass er es gar nicht versucht hätte. Er zwang sich dem Ersten des Rates in die Augen zu blicken. „Schuldig.“ sagte er nur.
„Möchtest du dem Rat vortragen, was geschehen ist?“ fragte Hallgart. Auch der erfahrene Fürst konnte seine Enttäuschung kaum verbergen, schließlich hatte er so große Stücke auf Kram und seine Fähigkeiten als Baumeister gehalten.
Kram schüttelte den Kopf. „Erster des Rates, Hoher Rat, ich kann euch nichts sagen, von dem ihr nicht schon Kenntnis hättet, nichts was meine Schuld schmälern könnte. Wir waren hinter dem Zeitplan zurück und ich traf die Entscheidung, beide Schürftupps zugleich arbeiten zu lassen, was zum Einsturz des Tunnels führte. Auch wenn ich vor euch treten kann und sagen, ich hätte daraufhin alles versucht um meine Freunde aus dem Tunnel zu retten, überlebte keiner von ihnen.“ an dieser Stelle geriet er ins Stocken.
Die neun Zwerge des Rates wandten sich einander zu und leises Gemurmel drang in Krams Ohren. Als Fürst Hallgart das Wort wieder an Kram richtete, schien er sich selbst nicht ganz sicher zu sein, wie ihm begegnen sollte. „Kram, als Baumeister bist du für deine Arbeiter verantwortlich und bist dieser Verantwortung nicht nachgekommen. Doch jeder hier im Rat kann dein Bedauern und deinen eigenen Schmerz erkennen.“
Eine Pause trat ein. Das war die Gelegenheit für Kram, das Einzige auszusprechen, das ihm jetzt wirklich wichtig war. „Erster des Rates, Hoher Rat, ich weiß um meinen Fehler und das Leid, das ich verursacht habe. Jedem Urteil, das ihr mir auferlegen wollt, werde ich mich fügen. Und auch wenn es mir schwerlich zusteht zu bitten, bitte ich dennoch für meine Familie. Ich habe den Tod meiner Arbeiter zu verursacht, nicht meine Gefährtin Bait und nicht unser Kind, dies bitte ich euch zu bedenken, wenn ihr über meine Bestrafung entscheidet.“
Fürst Hallgarts Miene war unmöglich zu deuten, als er die Verhandlung für beendet erklärte, indem er wieder seine Axt auf den Boden niederfahren ließ. Kram wurde heraus geführt und dieses mal kam ihm die Zeit, die er mit Warten verbringen musste, vor wie eine Ewigkeit.
Nach etwa zwei Schalen wurde er wieder in die Halle Der Vier Schilde zur Urteilsverkündung zurück geführt und nahm wieder seinen Platz im Trimien ein. Er fühlte Angst in sich aufsteigen. Wie würde der Rat entscheiden? Würden sie ihm die Gnade gewähren nur ihn zu bestrafen? Es war bei Gerichtsurteilen der Zwerge nicht üblich, Unbeteiligte zu bestrafen, doch auch schon ein Einzug seines Vermögens würde einer Bestrafung Baits gleich.
„Kram.“ begann der Fürst. Seine auch für einen Zwerg tiefe Stimme war ruhig und betont neutral. „Wir befinden dich schuldig am Tod der Schürfer Tars, Garam, Maku, Hortak und Barakas deines Arbeitstrupps. Im Namen der Alten, der Zwerge Cavers und aller anderen Zwergenvölker verhängen wir dieses Urteil: Deine Besitztümer werden eingezogen und gleichermaßen an die Familien der Opfer verteilt.“ Kram stockte der Atem, das konnten sie nicht tun, was würde aus Bait und seinem Kind? Fast wollte er aufbegehren, doch Fürst Hallgard fuhr fort: „Deine Gefährtin Bait und ihr Kind werden aber die Unterstützung des Rates erhalten. Du dagegen, Kram, wirst als Wiedergutmachung für jeden deiner, durch deinen Fehler verstorbenen Kameraden, fünf Sonnenzyklen in den Tiefminen Dienst tun, danach kannst du zu deiner Gefährtin und deinem Kind zurückkehren. Sobald deine Wunden so weit verheilt sind, dass du imstande bist zu arbeiten, wirst du deine Strafe antreten. Bis dahin verbleibst du unter Bewachung im Hospitaltrakt. Deine Gefährtin und eine weitere, von dir gewählte Person erhalten Besuchsrecht bis zum Antritt deiner Strafe.“ Daraufhin ertönte ein weiteres Mal der dumpfe Knall von Hallgarts zweischneidiger Axt, das Urteil war vollstreckt.
Obwohl Kram jede Strafe hatte akzeptieren wollen, fühlte er sich, als hätte ihm jemand den Boden unter den Füßen weggerissen. Fünfundzwanzig Sonnenzyklen in den Tiefminen!
Dort wurde Coalin, das Brennmaterial für Caverns Schmieden abgebaut. Die Arbeit war hart und gefährlich, Feuergeister trieben dort unten ihr Unwesen, sie waren zwar nicht bösartig, doch dies war ihr Lebensraum, in dem sie die Zwerge arbeiten ließen, das störte sie nicht, doch sie brannten so heiß, dass selbst ein Zwerg einem Feuergeist nicht zu nahe kommen durfte. Die Zwerge, die dort unten arbeiteten wurden so gut bezahlt, dass sie sich nach zehn Sonnenzyklen zur Ruhe setzten konnten, sofern sie so lange überlebten. Auch manche Sträflinge wurden dort hinunter beordert, doch auch selten länger als zehn Sonnenzyklen und nun sollte er mehr als die doppelte Zeit dort überstehen? Das kam einem Todesurteil zwar nicht gleich, doch schon sehr nahe. Doch er wollte wenigsten erhobenen Hauptes gehen, er straffte die Schultern, schaffte es sogar dem Fürsten in die Augen zu sehen und nickte.
Den ganzen Weg zurück in den Hospitaltrakt dachte er angestrengt nach. Immerhin hatte er eine Chance, er konnte es überstehen und zu zurückkehren, vielleicht könnte ihm sogar eine Strafverkürzung zuteil werden, wenn er sich geschickt anstellte. Und doch machte er sich wenig Hoffnung, in spätestens einem halben Mondzyklus würde seine Strafe beginnen und so oder so, würde das Leben, wie er es bisher gekannt hatte, enden.

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Re: Bird's Legenden von Andor - Kapitel I

Beitragvon Tamarinde » 3. Oktober 2017, 17:43

Spannend! Wie kommt Kram nur da wieder raus?
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Re: Bird's Legenden von Andor - Kapitel I

Beitragvon Narrator » 5. Oktober 2017, 15:16

Die Fortsetzung hat keineswegs enttäuscht. Sehr mitreißend und spannend geschrieben!
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Re: Bird's Legenden von Andor - Kapitel I

Beitragvon Kar éVarin » 6. Oktober 2017, 06:15

Bloß diese gemeinen Cliffhänger, die nicht weitererzählt werden... :evil:
Nee, richtig so, Spannung hochhalten! Ich warte gespannt!
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Kar éVarin
 
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